Die missratene Nationalarmee
NATO täuscht sich abermals mit Ideen über selbsttragende Sicherheit
2011 will Obama mit dem Abzug der US-Truppen, die er gerade verstärkt, beginnen. Die Aussage ist vage und – wie bisher – an die Fähigkeit der Afghanen gekoppelt, eine »selbsttragende Sicherheit« zu garantieren. Wer sie garantieren soll, ist klar. Das sind die – noch nicht in ausreichender Anzahl und Qualität vorhandenen – Polizeitruppen und die Afghanische Nationalarmee, die derzeit von NATO-Schleifern gedrillt wird.
Der von Obama genannte Abzugsbeginn muss als optimistische Annahme gewertet werden, denn über die afghanische Armee gibt es bislang nicht sehr viel Positives zu berichten. Weshalb die deutsche Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung auch einen ferneren Ausstiegstermin bevorzugte. Innerhalb der nächsten fünf Jahre, so Angela Merkel, müssten »substanzielle, qualitative Fortschritte« erzielt werden, die es der ISAF ermöglichen, ihren Einsatz in Afghanistan zu reduzieren.
Auch aus Sicht der westlichen Staaten ist es nicht damit getan, irgendwelche afghanische Freiwilligen in Uniformen zu stecken und das Gewehr präsentieren zu lassen. Ohne eine funktionierende und damit starke zivile Zentralverwaltung ist auch die gesamtstaatliche Armee nur eine kurze Fiktion unterm NATO-Schirm. Um das zu erkennen, reicht ein Blick in die Geschichte. Nachdem der Moskau-treue Präsident Nadschibullah 1992 gestürzt war, dauerte es nicht lange, bis sich die gut gedrillte und ausgerüstete, multikulturelle, multikonfessionelle und regional ausgewogene Berufsarmee in zahlreiche Stammesmilizen zerlegte, die einander grausam bekämpften. Schon jetzt ist Präsident Hamid Karsai nicht mehr als der durch Wahlfälschung bestätigte Bürgermeister der Hauptstadt Kabul.
Heute ist der Neuaufbau der Nationalarmee schwieriger als zu Regentschaftszeiten der Sowjetunion. Obwohl die Deserteursrate von einem Drittel im Jahr 2006 auf rund zehn Prozent gesunken ist, bereitet niedriger Bildungsstand, ja sogar Analphabetismus, Probleme. Dazu ist die Ausrüstung nicht den Notwendigkeiten angepasst. Das alles hat zu tun mit der Überheblichkeit des Westens, der anfangs in der afghanischen Armee nicht mehr als eine Truppe von Hilfswilligen sah. 70 000 Bewaffnete – eingeschlossen die Grenzwache – schienen ausreichend, um das von westlichen Armeen gereinigte Land zu bewachen. Inzwischen setzt man die Sollzahl für das Jahr 2011 bei 134 000 Mann an. 94 000 davon sind eingekleidet, doch bei weitem nicht einsatzfähig. Die Truppe soll gegliedert sein in fünf regionale Korps und eine Heeresfliegerabteilung. Jedes Korps hat drei Brigaden, denen je fünf Bataillone mit je 600 Mann unterstehen. Bislang haben nicht einmal 50 der 86 Bataillone die von der NATO bestimmte »Capability Milestone« – also die Einordnung als kampffähig – erreicht. Doch selbst wenn man die klassifizierten Truppenteile gegen die sogenannten Aufständischen ausschickt, sind sie, was Führung, Logistik und Luftunterstützung betrifft, auf die NATO angewiesen.
Obamas neue Militärstrategie für Afghanistan ist – und das betrifft auch die nun nachempfundenen anderer NATO-Staaten – wieder einmal auf Sand gebaut. Nichts führt vorbei an politischen Lösungen.
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