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Frieren und die Erde retten

  • Lesedauer: 3 Min.
Matthias Wedel
Matthias Wedel

Der letzte Schrei zum Fest sind Uhren, die man selber aufziehen kann. Eine geniale Technik, die am Wissenschaftsstandort Deutschland im Rahmen einer Exzellenzinitiative entwickelt wurde! Den Ei-Pod haben sich deutsche Erfinder durch die Lappen gehen lassen, aber das Nürnberger Ei ist ihnen geglückt. Gerühmt sei ein gewisser Peter Henlein, Schlosserlehrling aus dem Süddeutschen, der nicht studieren durfte, weil seine Eltern die Hochschulgebühren nicht zu zahlen vermochten, der die Welt mit einer aufziehbaren Uhr überraschte.

Das passt zu dem Klimageschrei, das die Medien erfüllt. Als Propagandisten der Schweinegrippe und Geldeintreiber für die Pharmaindustrie haben die Journalisten ihren Auftrag glänzend erfüllt. Nun gilt es, den Leuten Angst vor einem zu milden Winter zu machen. Wir sind kurz vor einer Panik-Pandemie. Parterrewohnungen sind nicht mehr vermietbar und viele Menschen haben bereits jetzt stilles Wasser für den Sommer 2011 gebunkert. Bald wird es jede Menge Produkte geben, die den Winter wieder frostsicher machen sollen! Und wir sollen kaufen, kaufen! Wenn nicht – dann wird eben die Glühbirne verboten.

Noch sind Energiesparlampen sündhaft teuer, schnell kaputt und in diesem Zustand ausschließlich in Speziallaboren zu entsorgen. Außerdem verbreiten sie ein Licht, in dem die rosigste Jungfrau als alte Vettel mit Alkoholiker-Karriere erscheint. Da kommt die Uhr von Herrn Henlein, die ohne Batterie funktioniert, gerade recht. Sie spart etwa 2,2 Tonnen CO2 in zehn Jahren (das ist etwa so viel, wie auf dem Bernauer Bahnhofsklo wöchentlich ungefiltert in die Atmosphäre entweicht). Allerdings können sie sich nur Leute leisten, denen es auch nichts ausmachen würde, wenn die Winter wieder kälter werden würden. Dann drehen sie eben die Heizung eine Stufe höher und heizen ihren Pool schon frühmorgens an.

Arbeitslose, Obdachlose und freischaffende ND-Autoren gehören nicht dazu. Wir lesen die Zeit klimaneutral vom Kirchturm ab. Neulich äußerte ein Obdachloser aus seinem zerschlissenen Schlafsack heraus im Regionalfernsehen, seine größte Sorge sei die Klimaerwärmung, namentlich im Winter: »Man schläft so unruhig, wenn es so warm ist.« Vermutlich bekam er für diesen Satz zehn Euro.

Für Hartz-IV-Empfänger jedoch hat eine schöne Zeit begonnen. Sie können jetzt freudig der Empfehlung des Bankiers Sarrazin folgen und ihre Notbehausung auf 16 Grad herunter kühlen sowie sich bei Bedarf eine Decke um die Beine wickeln. Denn jetzt geschieht das nicht mehr aus Armut, sondern aus der edlen Motivation heraus, das Klima zu retten. Zu Hause sitzen, frieren und die Erde retten – gibt es ein schöneres Gefühl? Wenn man sich jetzt noch eine Kerze anzünden würde, wäre Weihnachten perfekt.

Aber nein! Eine Kerze stößt eine Menge CO2 aus, dass man ein ganzes Prekarier-Wohnviertel damit auslöschen könnte, wenn es nicht Kohlendioxid, sondern Kohlenmonoxid wäre. Der Lichterbaum fällt also dieses Jahr ins Wasser, sofern es infolge der Gletscherschmelze bereits über unsere Schwellen tritt. Überhaupt sieht es dunkel aus in Deutschland. Noch zu Weihnachten 2008 waren die Häuschen von Pankow bis tief in die Uckermark hinein so verschwenderisch illuminiert, dass man glauben konnte, die besser verdienenden Bewohner wollten den Marsmännchen Lichtzeichen geben: Kapitalismus ist prima, versucht es auch einmal! Blinkende Weihnachtsmänner kletterten Dachrinnen hinauf und in Biesenthal markierten Lichterketten die Umrisse des Wohneigentums für die Feldhasen.

Dieses Jahr äste ein einsames LED-Lämpchen-Reh im Vorgarten. Selbst in Zehlendorf bleiben die Fensterhöhlen finster wie zuletzt beim Verdunkelungsbefehl im April 1945. Der Elektro-Einzelhandel sieht schwarz. Es ist, als sei eine Last von der Menschheit genommen: Niemand muss mehr den Vorwurf des Nachbarn fürchten: »Für eine Lichterkette bist du wohl zu geizig?« Die Illuminaten terrorisieren uns nicht mehr – der Klimakatastrophe sei Dank.

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