Mehr Bürokratie wagen

Initiativen im Nordosten fordern Auflagen für die Agrarindustrie

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Bislang müssen agrarindustrielle Investoren in der Regel kein Raumordnungsverfahren fürchten. Angesichts der wachsenden Dimensionen von Hühner- oder Schweinezuchtanlagen will die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern das ändern. Sachsen-Anhalt hat schon gehandelt.

Vor etlichen Jahren hat Jörg Kröger in Lübeck seine Sachen gepackt und alles, was er hatte, in das alte Gutshaus Wietzow im vorpommerschen Tollensetal gesteckt. Dort wartet er seither auf Ruhe-, Natur- oder Kanutouristen. Ihm gefiel es schnell im Land.

Doch dass es Kröger geben könnte, hatte man im Schweriner Ministerium für Bau und Landesentwicklung nicht bedacht, als 2005 die Sache mit der Ferkelfabrik in Krögers Nachbarschaft auf den Tisch kam. Der Kreis Demmin gilt als agrarisch, da sah man »geringes Konfliktpotenzial« in einer neuen Ferkelzucht. Ein Raumordnungsverfahren sei »überflüssig«.

Touristen oder Ferkel

Eine Fehleinschätzung, wie heute auch Helmut Holter einräumt, der damals zuständige Minister der PDS. Rund um die Gemeinde Alt Tellin, in der eine Viertelmillion Ferkel jährlich produziert werden sollen, hatten sich längst etliche Betriebe etabliert, die von einem sanften Tourismus in der idyllischen Flusslandschaft leben. Dass der offensichtliche Interessenkonflikt zwischen Tourismus und Tierproduktion nicht beachtet wurde, entsprach dem üblichen Verfahren. Bundesweit werden für Tierproduktionsanlagen von den obersten Planungsbehörden – den Ministerien für Landesentwicklung – in der Regel keine Raumordnungsverfahren angeordnet. Während Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz obligatorisch sind, ist eine Auseinandersetzung über das Verhältnis zu den örtlichen Gegebenheiten selten. Dabei wachsen die Dimensionen solcher Anlagen schnell.

»Von einer riesigen Hühnermast oder Ferkelfabrik vor ihrer Haustüre erfahren die Leute meist, wenn es zu spät ist«, beschreibt Jörg Kröger die Auswirkungen dieser Praxis. Es sei »absurd, dass es in diesem Bereich keine Raumordnungsdiskussion gibt«. Hier könne getrost mehr Bürokratie gewagt werden. Inzwischen hat Kröger einen Unternehmensverband »Mit Lust An Natur« (MiLaN) und ein Netzwerk gegen Tierfabriken mitgegründet.

Mit dieser Ansicht ist er nicht mehr allein. In Sachsen-Anhalt, das wie Mecklenburg-Vorpommern zunehmend zum Standort riesiger Tierfabriken wird, sieht inzwischen auch die Landesregierung Regulierungsbedarf. Der für Landesentwicklung zuständige Minister Karl-Heinz Daehre (CDU) hat auf Druck von SPD und Linkspartei einen Katalog vorgelegt, der mehr Riesen-Ställe einem Raumordnungsverfahren unterwerfen soll. Dann etwa, wenn der Abstand zu Wohnhäusern geringer ist als 1200 Meter, wenn die Entsorgung unklar scheint – oder Interessenkonflikte mit ökologischen und touristischen »Vorranggebieten« auftreten. Treffen mehrere Merkmale zu, wird ein Raumordnungsverfahren angeordnet.

Von Magdeburg lernen

Daran will nun die Linkspartei im Schweriner Landtag anknüpfen. Man brauche Kriterien, »nach denen zukünftig eine Beurteilung der Raumbedeutsamkeit, der überörtlichen Auswirkungen sowie der Erheblichkeit von Umweltauswirkungen von Tierproduktions- sowie Bioenergieanlagen erfolgt«, fordert ein Antrag, den Holter in die Ausschüsse verweisen lassen will, »um in eine konstruktive Diskussion zu kommen«. Deshalb fehlten auch konkrete Vorschläge für Kriterien. In Sachsen-Anhalt hatte die SPD zuletzt konkrete Zahlen genannt, bei Mastschweinen etwa sollten 3000 Stück die Obergrenze sein.

Auch wenn es seine Ironie habe, dass jetzt gerade Helmut Holter diesen Antrag stellt, unterstützt Öko-Touristiker Kröger ein solches Gesetz – »mit möglichst genauen Zahlen, damit es auch wirkt«.

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