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Lustvoller Weg zum Kommunismus

Steckbrief – Einer war’s (149)*

  • Lesedauer: 4 Min.
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Für drei Gewinner dieser Folge stellt der Propyläen Verlag »Mein Herz – Niemandem. Das Leben der Else Lasker Schüler« von Kerstin Decker zur Verfügung.

Der Schriftsteller und Dandy, nach dem wir letztes Mal fragten, war: Paracelsus.

Gewonnen haben: Uwe Zimmermann, Brandenburg (Havel); Hannelore Hirschfeld, Leipzig; Jürgen Holtzapfel, Hermsdorf. Einsendeschluss: 8. Januar (Poststempel)

Der Sohn eines jüdischen Gutsbesitzers erblickte in Galizien das Licht der Welt. Da seine Eltern sich jedoch vom jüdischen Glauben gelöst hatten, erhielt auch er keine religiöse Erziehung. Bevor er das Gymnasium besuchte, wurde er von Privatlehrern zu Hause unterrichtet. Hier machte der Zwölfjährige eine schlimme Erfahrung: Als er eines Tages seine Mutter mit einem seiner Lehrer im Bett überraschte, erzählte er davon seinem Vater. Dieser quälte seine Gattin daraufhin solange, bis sie Selbstmord beging. Sein Vater verfiel anschließend in Schwermut und zog sich absichtlich eine Lungenentzündung zu, an deren Folgen er starb.

Der 17-Jährige musste nun selbst die Leitung des Gutshofs übernehmen. Allerdings hatte in Europa mittlerweile der Krieg begonnen, und nach wenigen Monaten bereits wurde er von einrückenden russischen Truppen zur Flucht gezwungen. Er trat der k.u.k. Armee bei, in deren Reihen er das Ende des Krieges erlebte.

Danach ließ er sich in Wien nieder, wo er zunächst Jura und dann Medizin studierte. In einem Seminar hörte er zum ersten Mal den Namen Sigmund Freud. Sogleich vertiefte er sich in dessen Psychoanalyse und gelangte dabei zu der Einsicht, dass die meisten Krankheiten seelischen Ursprungs seien. Namentlich in der unterdrückten sexuellen Lust sah er eines der Grundübel seiner Zeit. Er richtete deshalb mehrere Beratungsstellen für Sexualprobleme ein, die vor allem von jungen Leuten heimlich besucht wurden. In einem Brief an eine Freundin stellte Freud dazu ironisch fest: »Wir haben hier einen Doktor, einen braven, aber impetuösen jungen Steckenpferdreiter, der im genitalen Orgasmus das Gegenmittel jeder Neurose erblickt.«

In Wien heiratete der von uns Gesuchte eine ehemalige Patientin und wurde zum Entsetzen seiner Kollegen Mitglied der Kommunistischen Partei. Schließlich siedelte er nach Berlin über, wo er unter anderem versuchte, Psychoanalyse und Marxismus theoretisch zu vereinigen. Die kommunistischen Funktionäre waren davon jedoch wenig begeistert. Im Gegenteil, sie schlossen den unorthodoxen Denker wieder aus der Partei aus.

Nach der Machtübernahme Hitlers warfen die Nazis seine Bücher auf den Scheiterhaufen. Er flüchtete nach Skandinavien, wo er wegen seiner sexualpädagogischen Forschungen als »ehrloser Pornograph« bezeichnet und für verrückt erklärt wurde. In dieser prekären Situation erhielt er einen Lehrauftrag an der New School for Social Research in New York. Doch auch in Amerika lauerten die Moralapostel. Er kam in Haft, wurde aber wieder freigelassen, nachdem die Polizei in seinem Haus nichts Anstößiges hatte finden können.

Anschließend erwarb er im Bundesstaat Maine eine alte Farm und gründete hier ein bioenergetisches Forschungszentrum. Er war zudem geschäftstüchtig genug, ein selbst von Albert Einstein als wirkungslos eingestuftes Gerät zur Vitalitäts- und Potenzsteigerung zum Verkauf anzubieten. Erneut geriet er ins Fadenkreuz der Justiz, die ihm vorwarf, »Kurpfuscherei« zu betreiben. Da er der Verhandlung fernblieb und auch die sonstigen Anordnungen des Gerichts missachtete, wurde er zu zwei Jahren Haft verurteilt. Knapp acht Monate verbrachte er im Zuchthaus, dann fand ein Wärter den 60-Jährigen eines Morgens tot auf seiner Pritsche. Offiziell hieß es, er sei an Herzversagen gestorben; doch eine Autopsie des Leichnams fand nie statt.

Nach seinem Tod gerieten seine Ideen bald in Vergessenheit. Aber bereits ein Jahrzehnt später wurden sie von der Studentenbewegung wiederentdeckt. Viele seiner Werke kursierten im Westen als Raubdrucke und erlangten für einige Zeit Kultstatus. Heute ist es vor allem die New-Age-Bewegung, die sich auf ihn beruft, während die akademische Wissenschaft die meisten seiner provokanten Ideen nicht einmal mehr für diskussionswürdig erachtet.

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