Auferstehung mit Riemengetriebe

Jetzt ist im Erzgebirge Saison für Weihnachtsberge / Neubauten gibt es nur bei »Buckelbergwerken«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Erzgebirgler sind Bastler, sogar wenn es um die Weihnachtsgeschichte geht. Auf mechanischen Weihnachtsbergen wird nicht nur Jesus in Bewegung versetzt. Doch die Tradition droht auszusterben – nur in Form von »Buckelbergwerken« lebt sie fort.
Königswalder Holzschnitzer Wolfgang Süß mit Buckelbergwerk
Königswalder Holzschnitzer Wolfgang Süß mit Buckelbergwerk

Dass Jesus in den Himmel kommt, verdankt er einem Riemengetriebe. Zwirnsfäden, die über Treibräder laufen, lassen den Heiland auf dem Weihnachtsberg von Niederwürschnitz hinter Wolken aus Karton verschwinden und sorgen dafür, dass er rechtzeitig zur nächsten Himmelfahrt wieder aus den Kulissen auftaucht. Den Kreuzweg bewältigt er an anderer Stelle dank einer Fahrradkette. Dass er seine Jünger beim Abendmahl segnet, ist einem Hebelsystem geschuldet. Und der Antrieb für die Passionsgeschichte, erklärt Gerold d'Ales- sandro, »sind Elektromotoren«.

Die Motoren sind neu: Sie wurden eingebaut, nachdem 13 Entthusiasten Anfang der 90er Jahre den ab 1892 entstandenen Weihnachtsberg restaurierten, der einst zu den größten im Erzgebirge zählte, dessen Figuren und Gebäude aber nach dem Krieg in Kisten auf Dachböden verdarben. Als sie zufällig wiedergefunden wurden, begann eine Puzzle- und Bastelarbeit: »Bei 10 000 Stunden haben wir aufgehört zu zählen«, sagt d'Alessandro. Ihr Motiv sei nicht religiöser Natur gewesen, betont er: »Wir wollten schlicht das kulturelle Erbe unserer Väter erhalten.«

Tatsächlich haben mechanische Weihnachtsberge eine lange Tradition im Erzgebirge. Bereits 1570 wurde in Freiberg ein Bergwerksmodell mit mechanischen Pumpen, Aufzügen und Göpelwerken ausgestellt. Später wurde neben Gruben auch das Dorfleben nachgebildet – mit Figuren, die über Nockenwellen und Kipphebel gesteuert und per Kurbel oder Uhrwerk in Bewegung versetzt wurden. Nachdem man im 19. Jahrhundert ein früheres Verbot des Baus von Weihnachtskrippen aufgehoben hatte, wurden auch Nachbildungen der Passionsgeschichte populär. In den Darstellungen mischten sich »tiefe Religiosität und Heimatliebe mit großer Bastelfreude«, sagt Bernd Herrde, Konservator am Sächsischen Museum für Volkskunst.

Zu bewundern waren die Weihnachtsberge noch vor Jahrzehnten in vielen Wohnstuben, wo in den Wintermonaten an ihrer Vervollkommung gearbeitet wurde. Auch der Berg in Niederwürschnitz entstand aus privaten Anlagen, wuchs aber rasch auf 45 Quadratmeter. Heute ist er halb so groß, zählt aber immer noch 450 geschnitzte und oft auch bewegliche Figuren.

Heute gibt es freilich kaum noch Berge außerhalb von Museen oder Vereinsheimen wie dem in Niederwürschnitz. Die Gründe liegen in der Größe ebenso wie der komplizierten Mechanik, sagt Wolfgang Süß, Holzschnitzer aus Königswalde: »In den Stuben hat heute kaum noch jemand so viel Platz.« Außerdem beanspruchten der Aufbau und Reparaturen viel Zeit. Süß hat freilich eine Alternative wiederentdeckt: »Buckelbergwerke«. Dabei handelt es sich um Miniaturformen der mechanischen Berge, die in einen Kasten passen und so auf dem Rücken, der im Erzgebirge auch »Buckel« genannt wird, zu tragen sind. Die kleinen Kunstwerke wurden schon vor Jahrhunderten auf Jahrmärkten präsentiert – vor neugierigem Publikum: Außer den Bergleuten, sagt Süß, »wusste ja schließlich niemand, wie es in den Gruben aussieht«.

Das mag sich geändert haben; die Buckelbergwerke, die Süß baut und ausstellt, werden trotzdem bestaunt. Ein Grund ist die gediegene Ausführung: In Stollen, die etwa in malerisch gespaltene Baumstämme geschnitzt und mit Mineralien ausgekleidet sind, hocken Bergleute, die den Bildern des Bergaltars in Annaberg-Buchholz entstiegen zu sein scheinen. Auf Knopfdruck lassen sie ihre eisernen Schlegel niedersausen, was munteres Klappern bewirkt. Fasziniert sind die Betrachter auch von der schlichten, aber wirkungsvollen Mechanik: Die Arme der Arbeiter folgen Fäden, die von Kipphebeln gezupft werden, welche wiederum von einer Walze ähnlich der in einem Grammophon gesteuert werden.

Freilich: Auch wenn die Buckelbergwerke selbst neben ausladende Multimedia-Center in modernen Wohnzimmern passen – die Zahl der Kunsthandwerker, die sie herstellen, ist überschaubar: »Eine Handvoll«, schätzt Süß. Gegen den drohenden Verlust der Tradition stemmt man sich jetzt allerdings: In der Schnitzerschule Annaberg-Buchholz gab es kürzlich erstmals einen Lehrgang zum Thema »Bewegte Figuren für ein Bergwerk«.

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