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Anflug mit Begleitschutz

Vor 30 Jahren rückten sowjetische Truppen in Afghanistan ein

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 4 Min.
Über Nacht besetzten 7000 Fallschirmjäger Kabul. Bodentruppen kontrollierten alsbald Städte und Zufahrtstraßen. Am 25. Dezember 1979 begann die Invasion sowjetischer Truppen in Afghanistan. 115 000 Soldaten sollten dem bürgerkriegserschütterten Land Frieden und wohl ein wenig Fortschritt bringen – ein Jahrzehnt später mussten sie erfolglos wieder abziehen.

Auch in Moskau war man sich schon bewusst, dass ein Export der Revolution der eigenen reinen Lehre widersprach und wohl im Unheil enden musste, auch wenn man ihn als »brüderliche Hilfe« tarnt. So blieb die Lage am Hindukusch über die zehn Jahre Präsenz instabil.

Kabul 1988, ein Jahr vor dem Abzug der Militärmacht. Selbst der Anflug unserer Aeroflot-Passagiermaschine aus Moskau konnte lediglich mit ungewöhnlichem militärischen Aufwand gewährleistet werden. Weit vor der Stadt hieß es aus dem Cockpit: »Alle Gepäckstücke in den Mittelgang!« Der Flughafen ist von riesigen Bergketten umgeben. Von dort drohten Abschussversuche.

Die Maschine schien besonders gefährdet. Denn sie war bis auf wenige Plätze mit afghanischen Soldaten besetzt, die in Moskau eine höhere militärische Ausbildung hinter sich gebracht hatten. Die TU 134 setzte in steilem Spiralflug zur Landung an. Drüber kreiste ein Jagdflugzeug, drunter ein Kampfhubschrauber. Beide reagierten auf jedes Blinken in den Bergmassiven mit Feuerstößen. Vom Passierflugzeug aus wurden Messingkugeln abgestoßen, die Stinger-Raketen abzulenken vermochten.

Kabul selbst erwies sich als angespannt, nervös, ständig auf der Hut davor, was im nächsten Moment geschehen könnte. Ab und an schlug irgendwo eine Rakete ein. Die Zugänge zu strategisch wichtigen Punkten waren vermint. Wehe dem, der zu einem Unterstand auf die Höhe nahe dem Militärmuseum gelangen wollte und damit unbewusst sein Glück provozierte. Soldaten schossen Salven in die Büsche, wenn es raschelte. Die Regierung mühte sich, Clanchefs auf ihre Seite zu ziehen. Wo es gelang, stellte man manch einem ein ummauertes Gehöft bereit und ernannte ihn zum »Revolutionsgeneral«. Ihre Rivalitäten untereinander waren damit nicht beseitigt und deshalb Gefechte inmitten der Stadt nicht ungewöhnlich. Wie in jenem Falle, als nach einem drogengeschwängerten Treffen zweier solcher Generalitäten Streit um eine Frau entstand, was zu Dauerfeuer aus allen Rohren führte. In Kabul machte der Hintergrund des Gefechts am nächsten Tag die Runde – deutsche Zeitungen meldeten indes einen konterrevolutionären Putschversuch.

Die in einer Kaserne versammelten Revolutionsgenerale hatten erst Tage zuvor das Feuer eingestellt und der Regierung Waffenstillstand zugesichert. Einer der angekündigten Männer erwartete mich in einem anderen Raum. Sein Clan sei mit dem eines Anwesenden verfeindet – seit mehr als 300 Jahren. Den Anlass des bis heute tödlichen Zwistes kennt niemand mehr. Ein greiser Mullah schilderte, warum sich das Land in einem Zustand des Todes und der Zerstörung befand. Überall, wo sich in den Jahren des Bruderkrieges kämpfende Gruppen mit mehr als 50 Mann gebildet hätten, seien Berater aufgetaucht, meist aus den USA. »Es mangelte ihnen nicht an Waffen und Geld. Sie bildeten uns für Guerillakämpfe aus, bestimmten, welche Personen aus dem Weg geräumt, welche Gebäude dem Erdboden gleichgemacht werden sollten. Sie beschworen uns, dass wir einen heiligen Krieg gegen die Ungläubigen führen müssten. Heute wissen wir nach schmerzlicher Erfahrung, dass wir für fremdländische Interessen missbraucht wurden.«

Achtmar Adreskhan, der mit seinen 650 Männern 50 Ortschaften kontrollierte, schilderte später im Nebenzimmer, was ihn einst bewogen hatte, in die Berge zu gehen: Sechs Töchter gehörten damals zu seinem Clan, für die man bei der Heirat einen Brautpreis von jeweils 60 000 bis 100 000 Afghani bekommen konnte. Die frühere Revolutionsregierung habe den Brautpreis abgeschafft. Es sei schon wahr, dass sich viele Familien, um ihre Söhne zu verheiraten, über Jahre und Jahrzehnte verschulden mussten. Aber das sei seit ewigen Zeiten so. Der Preis für die Braut sei gewissermaßen das Kapital des Clans. Zudem seien seine 20 Hektar Land aufgeteilt worden, er selbst habe ein Stück Boden kilometerweit entfernt bekommen. Damit sei er nicht einverstanden gewesen und schließlich in die Berge gegangen. Entsprechend den Stammestraditionen begleiteten ihn einige hundert Männer. Die folgende Regierung habe den Brautpreis wieder möglich gemacht und auch den Kurs der ungestümen Bodenreform korrigiert. Deshalb beendete Adres-khan seinen privaten Krieg gegen die Regierung. Seine Männer seien in die heimatlichen Dörfer zurückgekehrt. Zwei befänden sich aber noch in einem US-Trainingscamp, wo sie lernten, mit Stinger-Raketen umzugehen.

Clanchef Afshar Karim berichtete von Kopfgeldern und Abschussprämien: »Die Ausländer haben gut gezahlt – 100 Dollar für den Tod eines Soldaten, 200 bis 300 für einen Funktionär der regierenden Volkspartei, bis zu 600 Dollar für einen Offizier. 2000 gab es für einen kampfunfähig geschossenen Panzer. Der Abschuss eines Flugzeugs bringe Prämien, die den Kauf eines Stücks Boden oder einer zusätzlichen Frau ermöglichen. Außerdem versicherte man, dass Allah uns für jeden getöteten Kommunisten 30 000 Gebete erlässt.« Letztendlich konnten die vorfeudalistischen Verhältnisse nicht geändert werden. Die russischen Truppen zogen 1989 ab. Sie hatten offiziell 15 000 gefallene Soldaten zu beklagen. Ob es auf der afghanischen Seite eine Million Tote oder mehr gab, konnte nie genau ermittelt werden

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