Ein Lehrstück in Loyalität

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 3 Min.
Kolumne: Ein Lehrstück in Loyalität

Dietmar Bartsch hatte nach dem gegen ihn erhobenen Vorwurf drei Optionen. Er konnte um sein Amt als Bundesgeschäftsführer kämpfen, er konnte mit sofortigem Rücktritt reagieren, und er konnte das tun, was er gestern tat: seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur im Mai und die Erfüllung seiner Aufgaben bis dahin erklären.

Er hat diese dritte Option gewählt, weil offenbar nicht stimmt, was ihm vorgeworfen wird: dass er illoyal sei. Die beiden anderen Optionen hätten die überhitzte Atmosphäre in der LINKEN kaum abgekühlt. Im ersten Fall wäre die Partei vermutlich in einen viermonatigen Showdown mit ungewissem Ausgang getrieben worden; im zweiten wäre das von Gysi konstatierte »Machtvakuum« an der Parteispitze tatsächlich (oder erst recht) eingetreten. Bartsch hat mit seiner Entscheidung ein Lehrstück von Loyalität geliefert: adressiert an seine Partei und an seinen ihn anklagenden Freund Gregor Gysi.

Der »Fall Bartsch« hinterlässt dennoch tiefe Kratzspuren in der LINKEN, in der längst nicht stabilisierten Architektur ihrer Geografien, Strömungen und Machtgefüge, in ihrem Selbstbewusstsein, in ihrer mentalen Daseinsvorsorge als wirklich neue demokratische Linke. Zudem bleibt auch jetzt der weitere Verlauf ungewiss. Eine Erklärung Oskar Lafontaines, welche politische Zukunft ihm sein gesundheitlicher Zustand erlaubt, wird die Partei noch abwarten müssen.

Was ist, wenn das »Bartsch-Opfer« den in Gysis Überlegung vermutlich gewünschten Effekt nicht bringt? Wird die LINKE im Mai eine gänzlich neue Führung finden, deren Vertrauensbasis stark genug ist, um die Partei durch die nächste Wegstrecke zu steuern? Diese ist nicht gemütlicher als die zurückliegende: Die LINKE muss ihre Programmatik fundieren und sie wird, da bis zum Frühjahr 2011 nur eine Landtagswahl ansteht, nicht wie in den letzten zwei Jahren in kurzen Abständen auf sichtbar wachsende Erfolge verweisen können. Damit fehlt dem nächsten Parteivorstand vorerst ein weithin wahrnehmbares Element der Profilbildung. Oder wird Gregor Gysi neben dem Fraktionsvorsitz auch noch den des Parteivorsitzes schultern? Das wäre – im Falle bleibender Abwesenheit von Lafontaine in der Bundespolitik – kein fern liegender Gedanke. Immerhin hat Gysi sich selbst die Verantwortung auferlegt, ein »Zentrum« in der Partei aufzubauen.

Ohnehin hängt viel davon ab, wie Gysi nun weiter handelt. Den faktischen Sturz von Bartsch hielt und hält er für »politisch erforderlich«. Sein Auftritt am Montag hinterließ eine fassungslose Entfremdung in Teilen der Partei. Sie haben den Gregor Gysi nicht wiedererkannt, den sie für seine politische Klugheit wie für sein Gespür als Anwalt, der die Rechte von Angeklagten kennt und respektiert, hoch schätzen. Beides wurde jäh vermisst; beides wieder spüren zu lassen, wird Gysi sich engagieren müssen. Denn solche Entfremdung ist ein ausbeutbares Terrain – innerparteilich, aber auch durch Interessen, die von außen wirken. Das ebenso lächerliche wie frivole »Angebot« von Steinmeier, Bartsch könne in der SPD Asyl nehmen, signalisiert solche Ausbeutungslust.

Die gibt es auch medial. Es war schon erstaunlich, wie unbedarft einige Genossen sich darauf einließen, aus einem kapitalen Gerüchtewerk des »Spiegel« einen Verdachtskanon zu komponieren, weil sie sich eigene Gewichtsvorteile davon versprachen (und erhielten), für die ihre politischen Argumente nicht ausreichten. Man muss die Medienwelt hierzulande nicht so einäugig betrachten, wie das zuweilen mit dem plumpen Stichwort der »Medienkampagne« geschieht. Aber dass der »Spiegel« viel Phantasie darauf verwendet, wie er die LINKE lächerlich machen und ihre Köpfe desavouieren kann, ist selten zu überlesen.

Dietmar Bartsch hat dazu aufgerufen, eine politische und strategische Diskussion zu führen, »die von geistiger Weite geprägt ist und in einem kulturvollen Klima stattfindet«. Diesen Appell ernst genommen, müssten ab sofort alle darauf achten, dass sie nicht bei der Demontage der eigenen Partei helfen und denjenigen, die solches Interesse haben, nicht obendrein eine Abwrackprämie gönnen.

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