Wenn der Klebeeffekt zum Schleudersitz wird

Nach Schlecker-Skandal: Bundestag debattiert über Leiharbeit

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 2 Min.
Nach Protesten gegen den gezielten Einsatz von Leiharbeit zum Lohndumping bei der Drogeriemarkt-Kette Schlecker befasste sich am Donnerstag der Bundestag auf Antrag der Linksfraktion mit dem Problem.

Die LINKE fordert ein Gesetz, das Leiharbeitern ab dem ersten Einsatztag gleichen Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen zusichert wie den festangestellten Kollegen. Verlangt wird zudem eine Flexibilitätsprämie von zehn Prozent des Bruttolohnes, eine Begrenzung der Überlassungshöchstdauer auf drei Monate sowie ein Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte.

Die Grünen verfolgen in einem eigenen Antrag ähnliche Ziele. Statt der Überlassungshöchstdauer plädieren sie für einen Höchstanteil von zehn Prozent Leiharbeitern in größeren Betrieben. »Wir subventionieren den Reichtum von Anton Schlecker«, sagte Klaus Ernst (LINKE). Viele Leiharbeiter in Schlecker-Filialen seien Hartz-IV-Aufstocker. Der Drogerie-Discounter sei jedoch »kein Einzelfall«, räumte er ein. Ernst verwies auf Beispiele aus Industrie und Zeitungsverlagen, in denen bis zu 30 Prozent der Belegschaft schlecht bezahlte Leiharbeiter seien. Solche Ausmaße hätten »mit Auftragsspitzen nichts zu tun«, sondern dienten dem systematischen Lohndumping. SPD und Grüne hätten 2003 mit der Liberalisierung der sogenannten Arbeitnehmerüberlassung solche Zustände hoffähig gemacht, bemängelte Ernst. Damit sei »das Scheunentor für Schein-Tarifverträge mit Schein-Gewerkschaften geöffnet« worden.

»Unsere Intention war 2003 eine völlig andere«, sagte die Grünen-Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke selbstkritisch: »Wir wollten Menschen in Arbeit und Brot bringen. Das hat so nicht funktioniert.« Sie besitze »Mut und Ehrlichkeit, diese Fehleinschätzung einzugestehen«. Der beabsichtigte »Klebeeffekt«, mit dem Leiharbeiter im Betrieb hängen blieben, habe sich als Mythos erwiesen. Daraus sei nun ein »Schleudersitz« geworden.

Dagegen redete Gitta Connemann (CDU): »15 Prozent schaffen den Sprung in die Festanstellung«. »85 Prozent wurden nicht übernommen, was für ein bescheidener Klebeeffekt!«, konterte der SPD-Linke Ottmar Schreiner »Niemand will Zeitarbeit zu Tode regulieren«, sagte er. Wenn aber bereits die Hälfte der unter 30-Jährigen prekär beschäftigt sei, müsse die »Überflexibilisierung dringend abgebaut« und eine »vernünftige Balance wieder hergestellt« werden. Auch Müller-Gemmeke forderte eine »sinnvolle Regulierung« der Leiharbeit.

Die Linken-Abgeordnete Jutta Krellmann warf die Frage auf, wozu angesichts zunehmender Flexibilität in der Arbeitswelt und der Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge Leiharbeit überhaupt notwendig sei. »Sie wollen die Zeitarbeit zu Tode regulieren«, warf Gitta Connemann daraufhin der Linksfraktion vor: »Ihre Vorschläge würden das Ende der Zeitarbeit in Deutschland bedeuten.«

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Ralf Brauksiepe (CDU) verteidigte die Zeitarbeit als »Brücke für eine Rückkehr von Erwerbslosen in unbefristete Beschäftigung«. »Wir prüfen gewissenhaft, ob die bestehende Gesetzeslage eingehalten worden ist«, erklärte er für die abwesende Ministerin und Parteikollegin Ursula von der Leyen. Die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, so Brauksiepe. Die Regierung werde Missbrauch bekämpfen, wo er stattfindet.

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