Razzia und Demos in Göttingen

Nach Anschlag ermittelt Polizei in linker Szene

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach einem mutmaßlichen Brandanschlag auf die Ausländerbehörde des Landkreises Göttingen geht die Polizei von einer politisch motivierten Tat aus. Die Ermittler sehen eine »Spur in die linksextremistische Szene«.

Die Polizei nimmt nach einem möglichen Brandanschlag auf das Göttinger Kreishaus die linke Szene der Stadt ins Visier. Spezialhunde hätten den Ermittlern den Weg zu vier Verdächtigen – zwei Frauen und zwei Männer – gewiesen, sagte Polizeivizepräsident Roger Fladung. Ein Gebäude in der Innenstadt, in dem die Vier wohnen, war am Mittwochabend von der Polizei durchsucht worden. Noch während der Razzia demonstrierten rund 200 Linke im Stadtzentrum, sie blockierten dabei auch Busse und warfen Mülleimer und Bauzäune um.

Bei dem Brand und einer Verpuffung in der Teeküche des Ausländeramtes war am 22. Januar ein Behördenmitarbeiter leicht verletzt worden. Der 25-Jährige hatte die Flammen bemerkt und wollte sie löschen, dabei kam es zu der Verpuffung. Der Mann wurde durch die Druckwelle zurückgeworfen und erlitt ein Knalltrauma.

Brandsatz oder Kocher?

»GoeSt«, der linke Internet-Infodienst, veröffentlichte gestern E-Mails aus der Göttinger Stadtverwaltung, wonach am fraglichen Tag im Kreishaus ein Wasserkocher explodiert sein soll. Die Polizei ging jedoch gleich nach dem Vorfall von einem politisch motivierten Anschlag aus, weil am Tatort Reste eines selbst gebastelten »szenetypischen« Brandsatzes und in der Nähe ein Flugblatt gegen Abschiebungen gefunden worden seien. Es wurde eine neunköpfige Ermittlungsgruppe eingerichtet. Nach der Durchsuchung sehe die Polizei die »Spur in die linksextremistische Szene« erhärtet, sagte Fladung. Zwei sogenannte »Mantrailing-Hunde« sollen eine Fährte vom Kreishaus zu dem Haus in der Innenstadt erschnüffelt haben. Wie Kripochef Volker Warnecke erläuterte, waren den Spezialhunden im Kreishaus am Mittwochmorgen nacheinander »Spurenträger« vom Tatort unter die Nase gehalten worden – ob es sich um das Flugblatt oder andere Gegenstände handelte, sagten die Ermittler nicht. Beide Tiere seien daraufhin unabhängig voneinander schnurstracks zu dem etwa 600 Meter entfernten Gebäude gelaufen.

Computer beschlagnahmt

In dem Gebäude hätten die Hunde dann an vier weiteren Stellen angeschlagen, sagte Warnecke. In den Räumen der vier Beschuldigten beschlagnahmten die Polizisten Computer, Datenträger und Schablonen für Graffiti. Diese »Beweismittel« würden nun ausgewertet, hieß es gestern.

Bei der Protestdemonstration gegen die Razzia stellte die Polizei nach eigenen Angaben mehrfach Personalien von Demonstranten fest und leitete fünf Verfahren ein. Bewohner des durchsuchten Gebäudes und linke Gruppen kritisierten den Polizeieinsatz als »willkürlich«. Der Göttinger Landtagsabgeordnete der LINKEN, Patrick Humke-Focks, bezeichnete die massive Polizeipräsenz auch am alten Göttinger Rathaus als »unfassbar unsensibel«. Dort gab die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano zeitgleich zur Durchsuchung ein Konzert anlässlich des Holocaust-Gedenktages. Für den heutigen Samstag haben verschiedene Gruppen zu einer weiteren Demonstration aufgerufen.

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