Rückzug

Charlotte Knobloch wird wohl den Vorsitz des Zentralrats der Juden abgeben

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 2 Min.

Charlotte Knobloch war gerade einmal fünf Jahre alt, als sie erlebte, wie die Münchner Synagoge von den Nazis im Juni 1938 abgerissen wurde. Die Reichspogromnacht wenige Monate später war dann der Auftakt zur Vernichtung der Juden in Deutschland und Europa. Knobloch überlebte den Holocaust bei einer Familie in Franken, wo sie als uneheliches Kind ausgegeben wurde.

Die Zeiten haben sich geändert. Im November 2006 eröffnete die Münchnerin als Vorsitzende des Zentralrats der Juden feierlich die neue Hauptsynagoge in ihrer Heimatstadt. Das Gotteshaus ist auch ein Symbol dafür, dass sich jüdisches Leben, vor allem durch Einwanderung aus Osteuropa, in Deutschland regeneriert. Unter dem Dach des Zentralrats sind über 100 000 Mitglieder, etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden Juden, organisiert. Die Integration der Immigranten und unterschiedlicher Strömungen jüdischen Lebens ist wichtigste Aufgabe des Zentralrats. Nicht wenige Mitglieder des Gremiums bezweifeln jedoch, dass Knobloch dieser Anforderung gewachsen ist. Als erste Frau übernahm sie 2006 das Amt von ihrem verstorbenen Vorgänger Paul Spiegel. Nun wurde aus Kreisen des Zentralrats bekannt, dass die 77-Jährige im November nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren werde. Generalsekretär Stephan Kramer wollte die Meldung weder kommentieren noch dementieren. Die Vorsitzende kündigte an, sie werde sich am Sonntag mit den zuständigen Gremien treffen.

Knobloch gilt schon seit Langem als umstrittene Personalie. Kritik vom Zentralrat erntete die damalige Vizepräsidentin im Jahr 2000, als sie der rechtsextremen Wochenzeitung »Junge Freiheit« ein Interview gab. Im Herbst vergangenen Jahres attackierte der als Provokateur bekannte Publizist Henryk M. Broder die letzte Holocaust-Überlebende im Präsidium wegen ihrer Führungsschwäche und bezeichnete den Zustand des Zentralrats als »erbärmlich«. Dass er selbst Vorsitzender werden wolle, war jedoch nicht ernst gemeint und folgerichtig machte Broder einen Rückzieher. Ernster sind dagegen die Ambitionen von Dieter Graumann zu nehmen. Der 1950 in Israel geborene Stellvertreter Knoblochs gilt als aussichtsreichster Kandidat für ihre Nachfolge.

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