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Hoffnung im Krankenzimmer

Die Stiftung »Fundación Donum« zeigt in Ecuador, wie eine bezahlbare Arztversorgung funktionieren kann

  • Knut Henkel, Cuenca
  • Lesedauer: 8 Min.
Täglich stehen Menschen vor der Stiftung »Fundación Dornum« an, um behandelt zu werden.
Täglich stehen Menschen vor der Stiftung »Fundación Dornum« an, um behandelt zu werden.

Seit dem frühen Morgen wartet María Hernández vor den grünen Lettern der »Fundación Donum«. Vier Stunden Fahrt liegt hinter der 47-Jährigen aus der Bananenstadt Machala – viele der rund 30 Menschen in der Schlange vor Cuencas ungewöhnlichster Klinik sind von weither angereist. »Ich hoffe, dass die Stiftung da hilft, wo andere nur die Hand aufhalten«, erzählt die Frau mit der rosafarbenen Wollmütze und dem dicken Schal. Morgens ist es noch kalt in der auf 2550 Metern über dem Meeresspiegel liegenden Kolonialstadt im Süden Ecuadors. Hier hat der Bischof Alberto Luna Tobar 1992 die Stiftung »Fundación Donum« gegründet, um eine bezahlbare medizinische Behandlung anzubieten.

Das Angebot hat sich im Land herumgesprochen. »200 bis 300 Patienten versorgen wir täglich«, erklärt Juan Cury. »Im Jahr kommen wir auf rund 80 000 Behandlungen – mit einem Team aus 16 festangestellten Mitarbeiter*innen und etwa doppelt so vielen externen.« Juan Cuvi lächelt. Der 66-jährige Soziologe führt die »Fundación Donum«. Seine Mission: schwarze Zahlen ohne Gewinnmaximierung. Damit das funktioniert, hat die Stiftung vorgesorgt: »Wir haben einen finanziellen Puffer. So überstanden wir die ersten Corona-Monate 2020«, erklärt Cuvi. Aus der Rücklage konnte er die Löhne im März, April und Mai zahlen, als der Lockdown das Land lahmlegte.

Notlagen treten in Ecuador immer wieder auf. Im vergangenen Jahr war der Strom knapp, was für eine Klinik fatal ist. Mit den Geldreserven konnte die Einrichtung Notstromaggregate besorgen. »Die haben uns die Arbeit im Oktober, November und Dezember ermöglicht, als es kaum Strom gab.« Damals waren die Pegelstände in den Flüssen zu gering, und die Wasserkraftwerke generierten viel zu wenig Energie. An 81 Tagen stand landesweit nur stundenweise Strom zur Verfügung. Seit Mitte Dezember hat sich die Lage zwar entspannt, aber sie könnte sich erneut verschärfen. Cuvi plädiert daher für einen anderen Strommix, der mehr auf Wind- und Solarenergie setzt. Die Energiekrise ist nur ein Symptom größerer struktureller Probleme, die Ecuadors Gesundheitssystem belasten.

Sparkurs bei der Gesundheit

Die Regierung des konservativen Präsidenten Daniel Noboa müsste eigentlich die Weichen stellen und investieren. Aber das ist unwahrscheinlich. Sie hat sich nämlich einen Sparkurs auferlegt, um Kredite beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Finanzinstitutionen abzustottern. Deshalb wurden in den letzten knapp zwei Jahren unter der Ägide von Noboa die Ausgaben für die soziale Infrastruktur gekürzt. Im Gesundheitssystem hat dies massive Auswirkungen für die Patient*innen: In vielen staatlichen Kliniken heißt es »no hay« – »gibt es nicht«.

In Guayaquil, der größten Stadt Ecuadors, steht Ana Morales vor einem modernen Klinikgebäude, in der ihre Mutter behandelt wird. »Jede Spritze, jedes Medikament und selbst die Einmal-Handschuhe muss ich bezahlen«, klagt die 44-Jährige über die hohen Kosten und eine dennoch mangelhafte Versorgung.

Die Klinik von »Fundación Donum« ist zwar nicht gratis, aber deutlich günstiger. »Hier wird eine Pauschale von 10 US-Dollar für Diagnose und Behandlung verlangt, potenzielle Medikamente zahle ich separat, aber die sind in aller Regel billig«, berichtet María Hernández. Sie steht heute zum dritten Mal in der Calle Tarqui von Cuenca an.

Insbesondere bei Diabetes und bei Augenerkrankungen hat die kleine Klinik einen guten Ruf. »Wer hier herkommt, bekommt auch Hilfe«, betont Jaime Vintimilla. Der 64-jährige Arzt arbeitet schon seit 28 Jahren bei der Organisation und hat so manchen Nothilfe-Einsatz nach Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Schlammlawinen mitgemacht. »Wir sind im Laufe der Jahre immer besser geworden, haben gute Arbeitsbedingungen, gutes Equipment und funktionieren als Team«, erzählt der Arzt mit dem markanten buschigen Schnauzbart.

Das ist aber eher die Ausnahme in Ecuador, weiß der Arzt und fordert daher im ganzen Land bessere Bedingungen in den Kliniken und ein faires Gesundheitssystem. »Jeder und jede sollte nach seinem oder ihrem Einkommen bezahlen«, meint er. Auch Juan Cuvi verlangt eine Abkehr von der Gewinnmaximierung in den Krankenhäusern und Arztpraxen. »Die Stiftung zahlt vernünftige Löhne«, erzählt Cuvi. »Mit denen liegen wir im unteren Mittelfeld, arbeiten kostendeckend und haben ein positives Arbeitsklima«. Er verdient rund 2500 US-Dollar im Monat, umgerechnet sind das rund 2150 Euro. Damit ist er zufrieden, obwohl er anderswo mit seiner Qualifikation und Erfahrung das Dreifache verdienen könnte. Doch Cuvi hat sich für die Stiftung entschieden. Als Geschäftsführer hat er sie kontinuierlich ausgebaut und engagierte Mitarbeiter*innen um sich versammelt.

»Wir arbeiten mit viel Teamgeist«, bestätigt Krankenschwester Dolores Mejío. Sie hat im Mai ihr 28-jähriges Jubiläum gefeiert. Direkt nach der Ausbildung an der Universität hat sie bei der Stiftung angefangen. »Hier kann ich mir Zeit für die Patient*innen nehmen. Wir fertigen sie nicht wie anderswo am Fließband ab«, sagt die 52-Jährige.

Die Erfahrung hat auch Paulo Estebán Valírez gemacht. Der 38-Jährige sitzt draußen vor der Tür, früher hat er selbst Medizin studiert, musste aber abbrechen. »Ich hatte nicht das Geld, um das Studium zu beenden«, erzählt er. Heute fehle ihm das Geld, um sich in einem der größeren Krankenhäuser behandeln zu lassen. Dort werden 5000 bis 10 000 US-Dollar werde pro Operation verlangt, vierzig US-Dollar schon für eine einfache Diagnose. Außerdem werde an allen Ecken und Enden die Hand aufgehalten, ärgert er sich. »Die Korruption ist überall. Seit Corona hat sie auch den letzten Winkel erreicht.«

Teamgeist und Transparenz

Die »Fundación Donum« bildet da eine Ausnahme. Geschäftsführer Juan Cuvi ist auch für den Einkauf im Krankenhaus verantwortlich und hat der Organisation Transparenz verordnet. »Alle Mitarbeiter*innen wissen, was sie verdienen, wie wir einkaufen und worauf unser guter Ruf beruht: auf exzellenter Arbeit und einem günstigen Angebot.« Cuvi ist in Ecuador auch in der Antikorruptions-Kommission aktiv, einer kleinen Nichtregierungsorganisation.

Die Menschen schätzen eine solche Haltung. Nicht wenige nehmen wie María Hernández lange Wege für eine Behandlung auf sich. Die Frau ist heute angereist, um ihrem an Diabetes leidenden Bruder zu helfen. Der liegt in Machala, nahe der Grenze zu Peru, im Krankenhaus, wo ihm bereits ein Bein amputiert wurde. »Ich bin mir nicht sicher, ob das nötig gewesen wäre. Ich möchte, dass mein Bruder hier behandelt wird.« Sie reibt sich nervös die Hände.

María Hernández hofft, dass die Stiftung Mittel und Wege findet, wie sie ihrem Bruder zu helfen, denn Geld ist knapp in der Familie. Vier Stunden dauert der Transport im Krankenhaus nach Cuenca und kostet mehrere hundert US-Dollar. Sie will mit Cuvi und der Buchhalterin Graciela Quituisuca darüber sprechen. Letztere hat ihr Büro oben im dritten Stock des Hauptgebäudes der Klinik, wo Handwerker das Dach in Augenschein nehmen, um Photovoltaik-Paneelen anzubringen. »Cuenca mit seiner historischen Altstadt tut sich noch schwer damit, die Dächer freizugeben, aber wir hoffen auf eine Ausnahmegenehmigung«, erklärt Quituisuca. Dadurch soll eine bessere Energieversorgung für die Klinik hergestellt werden. Die energische Frau mit dem Haarreif, der ihre dunkle Haarmähne aus dem Gesicht hält, arbeitet seit nunmehr acht Jahren in der Geschäftsführung. Erst gehe es ihr um eine gute Behandlung, danach ums Geld, erklärt sie ihre Grundeinstellung.

Damit ist sie bei Juan Cuvi und dem Team auf offene Ohren gestoßen. In der Klinik hat sie als Sozialarbeiterin angefangen und Patient*innen mit Prothesen betreut. »Ich habe hier mehrere Etappen durchlaufen, konnte mich qualifizieren und habe dazugelernt – menschlich und fachlich«, erzählt die Frau mittleren Alters. Wenn sie in dem hellen, freundlichen Gebäude unterwegs ist, grüßt sie immer wieder Patient*innen – so wie Rosaria Chinche. Die indigene Frau kommt seit Jahren in die Fundación, um ihre Arthrose in den Knie- und Hüftgelenken behandeln zu lassen. »Das funktioniert, und ich bin froh, dass ich sie mir als alte Bäuerin aus der Umgebung von Cuenca leisten kann«, sagt die 82-Jährige fast schüchtern und rückt sich den Strohhut zurecht.

Graciela Quituisuca hilft immer wieder bei der Finanzierung von Behandlungen, kümmert sich um Überweisungen und hin und wieder auch um Zuschüsse aus kirchlichen Fonds oder von sozialen Organisationen. »Doch die sind knapp, und der Bedarf steigt, denn Ecuador steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise. Die Kartelle haben an Einfluss gewonnen. Oft agieren sie brutal.«

In der Region Cuenca ist die Situation aber entspannt. Hier kann man noch abends spazierengehen, anders als in Guayaquil oder Quito. Ob die friedlichen Verhältnisse halten werden, fragen sich viele. Um so wichtiger sind in unsicheren Zeiten Organisationen wie die »Fundación Donum«. Der Klinik gelingt es oft, in der Not zu helfen. Aber leider nicht immer: Bei María Hernández sieht es auch nach den Gesprächen mit Juan Cuvi und Graciela Quituisuca nicht besonders gut aus. Zwar kann die Stiftung mit einer Prothese helfen und die Diabetesbehandlung ihres Bruders koordinieren. Aber woher das Geld für den Krankentransport nach Cuenca herkommen soll, weiß noch niemand. Für María Hernández ist es trotzdem ein Fortschritt, dass sich für ihren Bruder überhaupt jemand interessiert.

»Wir sind im Laufe der Jahre immer besser geworden, haben gute Arbeitsbedingungen, gutes Equipment und funktionieren als Team.«

Jaime Vintimilla
Arzt bei »Fundación Dornum«

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