»Grundsicherung verwirklichen«

Sozialpolitische Initiativen fordern einen Regelsatz von 500 Euro

  • Rainer Roth
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Hartz-IV-Regelsätze seien nicht angemessen hoch, urteilte das Bundesverfassungsgericht gestern. Nun müssen konkrete Zahlen auf den Tisch, die eine Grundsicherung für alle gewährleisten.

Mit wachsender Arbeitslosigkeit nimmt der Druck auf Arbeitslosenunterstützungen und Löhne zu. Es geht deshalb gerade jetzt um die Verteidigung des sozialen Existenzminimums der Masse der Lohnabhängigen. Der Eckregelsatz von Hartz IV hat dabei eine zentrale Bedeutung, sowohl für die Bezieher von ALG II oder Grundsicherung im Alter als auch für lohnabhängig Beschäftigte, denn das offizielle Existenzminimum, das Hartz-IV-Niveau, zeigt, ob das Lohnniveau das Existenzminimum unterschreitet oder nicht.

Wir befinden uns in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit. Sie wird auch nach Verlautbarungen aus Banken, Konzernen und Regierung frühestens 2013 überwunden sein. Die »normalen« Folgen einer Krise werden sich 2010 deutlicher zeigen. Dazu kommen die Angriffe, die Krise der Staatsfinanzen auf dem Rücken der breiten Masse zu bewältigen. Das Kapital hat das Interesse, Unterstützungen möglichst niedrig anzusetzen, damit Armutslöhne eher durchsetzbar sind. Arbeitslosigkeit soll nicht »angenehm« sein. Deshalb wurden mit dem derzeit gültigen Eckregelsatz von 359 Euro gesellschaftliche Isolation und Mangelernährung programmiert.

Dem Elendsniveau von Hartz IV muss die soziale Bewegung eigene Ansprüche entgegenstellen. Der gesellschaftlichen Isolation entgegenzuwirken, dient die Forderung nach 440 Euro, die vom Paritätischen Wohlfahrtsverband auf der Basis der offiziellen Bemessungsgrundlage entwickelt worden ist. Im Rahmen dieser Forderung werden aber, auch vom DGB, die für Ernährung zugestandenen 3,94 Euro pro Tag akzeptiert. Das ist untragbar. 2,51 Euro pro 1000 Kcal wären für gesunde Ernährung notwendig. Auch bei einem zu niedrigen Tagesbedarf von 2200 Kcal wären somit 1,60 Euro pro Tag zu wenig im Eckregelsatz enthalten. 500 Euro müssten das Minimum des Eckregelsatzes sein.

Auch ein gesetzlicher Mindestlohn muss deutlich oberhalb des neu festzusetzenden soziokulturellen Existenzminimums liegen. Das wäre bei lohnsteuerfreien zehn Euro brutto der Fall. Die Kampagne des Bündnisses 500-Euro-Eckregelsatz, deren Plattform auch von der Linkspartei unterzeichnet wurde, verbindet die Forderung nach einem höheren Eckregelsatz mit der nach einem gesetzlichen Mindestlohn.

Zu wenig beachtet wird, dass in zehn Euro brutto kein Cent für die Unterhaltungskosten eines Kindes enthalten ist. Auch ein Kindergeld von derzeit 184 Euro deckt nur knapp die Hälfte des offiziellen Existenzminimums eines Kindes. Wenn man als Existenzminimum die notwendigen Reproduktionskosten einer Arbeitskraft versteht, liegen auch zehn Euro brutto weit darunter. Das Kapital will für den Nachwuchs an Arbeitskräften in Millionen Fällen nicht aufkommen, beschwert sich aber wütend darüber, dass Hartz IV diesen Umstand aufdeckt, weil hier sowohl der Bedarf von Kindern als auch die Unterkunftskosten grundsätzlich anerkannt werden. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch sieht darin eine »Perversion«. Um die Reproduktionskosten von Familien zu decken, wäre eine Verdopplung des Kindergelds notwendig, bezahlt vom Gesamtkapital. Eine Kindergrundsicherung als bedingungsloses Grundeinkommen jedoch würde es dem Kapital ermöglichen, die Kosten für zukünftige Arbeitskräfte vollständig aus dem Lohn herauszunehmen. Deshalb verlangen auch Arbeitgeberverbände die Verdopplung des Kindergelds.

www.500-euro-eckregelsatz.de

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