- Kultur
- Berlinale 2010
Berlin – Ecke Schönhauser
Die erste Szene zeigt die U-Bahn-Brücke an der Eberwalderstraße mit einem Plakat von damals, „Neues Deutschland, die führende Zeitung“. Wir sind im Prenzlauer Berg der 50er Jahre und begleiten den Alltag der Jugendlichen aus dem Kiez.
Vieles wird angedeutet: die Vaterlosigkeit nach dem Krieg, die Neugier nach West-Berlin, die Arbeit in der DDR sowie der Rock’n Roll im Prater-Biergarten. „Es ist interessant, wie ausgedachte Geschichten mit der Zeit als Dokumentation betrachtet werden“, sagt mit einem Augenzwinkern der Autor Wolfgang Kohlhaase nach der Projektion.
Viele Fragen hatte das Publikum über die Zensur in der DDR-Zeit: „Es gab kein Amt, keine Behörde dafür. Die Zensur war eine dauernde Bedenklichkeit“, erzählt Wolfgang Kohlhaase. Ich war über diese Fragen sehr erstaunt, da für mich der Film „DDR-freundlich“ war. Der Westen war nicht ausgeblendet und die DDR rosarot gemalt, im Gegenteil. Aber der Junge, der seine Zukunft im Westen sah und immer mehr mit West-Marken handelte, ist schon zum Kleinkriminellen geworden. Der Andere, der Fan von westlichen Kinoproduktionen war, wurde zum Opfer eines westlichen Filmtricks, und der Hauptdarsteller, der per Solidarität mit seinem Kumpel die DDR – und seine Liebhaberin – verlässt, bekommt seinerseits Heimweh in dem Aufnahme-Camp von West-Berlin. Insofern sah ich keinen Grund, über Zensur zu sprechen.
Interessant waren die Bemerkungen über die Rolle des Volkspolizisten, der im Film sehr präsent die Jugendlichen wie ein Vater oder sogar ein großer Versöhner begleitet. „Die VoPos waren aber ganz anders!“ sagt ein Mann im Saal. „Der Polizist wird wie ein Modell, ein Übervater gezeigt, das stimmt“, antwortet der Autor Wolfgang Kohlhaase. „Die VoPos waren damals gut über die Realität informiert, sie wussten viel von der Lebenslage“.
Auf alle Fälle waren diese schönen Stunden im Babylon bestimmt wie bei der Berlinale in den 70er Jahren: eine offene Tür nach Osten. Nur diesmal wird der DEFA-Film in Ost-Berlin gezeigt – und anscheinend sogar vor vielen Ex-DDR-Bürger/innen.
Sektion Generation: Programm
Mehr über den Film: Katalog
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.