Schwere Vorwürfe gegen Nonnen

Frühere Heimkinder berichten über Misshandlungen im rheinland-pfälzischen Kloster Lehmen

  • Tobias Goerke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Ehemalige Heimkinder haben den Nonnen eines früheren Klosters in Rheinland-Pfalz schwere Vorwürfe wegen Misshandlungen gemacht. Die Beweislage ist schwierig, die Einrichtung des Ordens war bereits 1974 geschlossen worden.

Lehmen/Berlin. Die Vorwürfe sind ungeheuerlich: Nonnen sollen Heimkinder gezwungen haben, Erbrochenes wieder aufzuessen. Dreckige Wäsche wurde mit Stockschlägen in den Unterleib bestraft, und wer sein Bett einnässte, musste stundenlang in eiskaltem Wasser ausharren. So soll es nach Meinung von einigen Zeitzeugen um etwa 1960 im Kinderheim des Klosters Lehmen (Kreis Mayen-Koblenz) zugegangen sein.

»Die Aussagen machen mich betroffen und beschämt, gleichzeitig kann ich es nicht glauben«, sagt die Provinzoberin der Karmelitinnen, Schwester Claudia, in Berlin. Sie ist die oberste Vertreterin des Ordens in Deutschland.

Die Vorwürfe lassen sich ihrer Meinung nach nicht nachprüfen. »Die Schwestern, die zu der Zeit dort waren, leben nicht mehr. Und Akten gibt es auch keine«, sagt Schwester Claudia. Sie war selbst 1965 für wenige Monate Praktikantin im Heim Lehmen, aber etwas derartiges habe sie nicht erlebt. Bereits 1974 wurde das Kloster geschlossen. Schnell denkt derjenige an Trittbrettfahrer, der die mutmaßlichen Misshandlungen in einen Zusammenhang mit Entschädigungsforderungen nach immer mehr Missbrauchsfällen an Jesuiten-Kollegs bringt. Doch die Vorwürfe im Lehmener Fall wurden bereits im Mai 2009 erstmals an den Karmelitinnenorden gerichtet.

Für seinen Mandanten Wolfgang Görges bemüht sich der Kölner Rechtsanwalt Thomas Jembrek trotz der schwierigen Beweislage um eine Entschädigung. Görges war als Sechsjähriger nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1960 nach Lehmen gekommen, weil sein Vater mit der Situation überfordert war.

Berührungsängste und Ordnungszwang

»Im Prinzip mache ich die Arbeit eines Detektivs«, sagt Jembrek. Auf Akten könne er dabei zwar nicht zurückgreifen, dafür habe er aber mittlerweile rund 20 ehemalige Heimkinder gefunden, die diese Vorwürfe zumindest in Teilen bestätigen können. »Mittlerweile sind es so viele, dass man es gar nicht bestreiten kann«, meint der Anwalt. Nicht nur der 55-jährige Görges leide bis heute unter dem Erlebten, er habe »psychische Schäden« wie Berührungsängste oder einen Ordnungszwang, sagt Jembrek. Auch andere ehemalige Heimkinder aus Lehmen litten heute unter posttraumatischen Belastungsstörungen.

Der Anwalt will nun den Orden auffordern, sich seiner Verantwortung zu stellen. »Ich will wissen, in welcher Form sie sich eine Entschädigung vorstellen.« Es gehe ihm um eine »finanzielle Erleichterung« für seinen Mandanten, denkbar sei auch eine Hilfe zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Er will bereits in den nächsten Tagen einen neuen Brief an die Karmelitinnen aufsetzen.

Schwester Claudia wundert sich derweil, dass ihr Gesprächsangebot vom vergangenen Jahr bis heute nicht wahrgenommen wurde. Ihre eigenen Nachforschungen im Orden und bei kommunalen Ämtern blieben erfolglos, auch sie konnte keine Akten ausfindig machen. »Und es wurde ja im Zusammenhang mit den Vorwürfen auch bislang kein Schwesternname genannt«, merkt die Provinzoberin an.

Zudem entdeckt die Oberin Widersprüche in den Darstellungen der mutmaßlichen Opfer. In Lehmen habe es etwa gar keine Schlafsäle mit rund 30 Betten gegeben, wie berichtet wurde. Ohne Beweise wolle sie das Andenken der Schwestern »nicht mit Schmutz bewerfen«, sagt sie. Auch der damalige Lehmener Ortsbürgermeister, Klaus Heidger, kann die schweren Vorwürfe gegen das Kloster nicht so ohne Weiteres akzeptieren.

Unterschiedliche Berichte

Nach einem ersten Bericht darüber in der »Rhein-Zeitung« schrieb Heidger an das Blatt, er habe in den 1960er Jahren als Jugendbetreuer des TSV Lehmen »zahlreiche Heimkinder als fröhliche Sprösslinge« erlebt. »Sporadische Verbindungen zu ehemaligen Heimkindern, die als lebensbejahende Bürger heute ihren Alltag meistern, pflegt meine Familie bis in die Gegenwart«, hieß es weiter.

Und Schwester Claudia erzählt von einem ehemaligen Heimkind, das den Aufenthalt als »schönste Zeit« seines Lebens bezeichnet. Diese Berichte verunsichern Jembrek bei seinen Recherchen jedoch nicht. Er weiß, dass im Kloster unterschiedliche Erfahrungen gemacht wurden. Der Anwalt meint: »Jungs haben deutlich mehr Schläge kassiert.«

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