Vom Feind umarmt

Gemeinde Mittenwald weiht Denkmal ein / Mahnung an Verbrechen der Gebirgsjäger

  • Fred König
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Wochenende beratschlagen Antifaschisten und Antimilitaristen über den möglichen Abschluss ihrer Initiative gegen das jährliche Treffen der Gebirgsjäger in Mittenwald, Bayern.
Mahnmal für Mittenwald, Mai 2009
Mahnmal für Mittenwald, Mai 2009

Kampagnen sind von einem fulminanten Anfang geprägt, tragen einige Zeit und kommen unweigerlich an einen Endpunkt. Irgendwann lautet die Frage nicht mehr »Wie weiter?«, sondern »Geht es überhaupt weiter?« In diesem Stadium befindet sich die Mittenwald-Kampagne des Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege (AK). Es begann 2002 mit der Störung eines Treffens alter Gebirgsjäger-Kameraden im Gasthaus zur Post in dem kitschig-pittoresken Geigenbauerörtchen am Fuße des Karwendels. Seitdem gibt es Proteste gegen das jährliche Treffen des »Kameradenkreises« der in Mittenwald beheimateten Gebirgstruppe.

Zum eigentlichen Abschluss der Kampagne hatten die AktivistInnen vergangenes Jahr der Gemeinde ein Geschenk gemacht: Todesmarsch-Überlebender Maurice Cling – 1945 in Mittenwald von US-Truppen befreit – und der Widerstandskämpfer Max Twangue enthüllten in einer bewegenden Zeremonie ein Denkmal für die Opfer der Gebirgsjäger während des Zweiten Weltkrieges. In der geschmackvollen Metall-Stele mit Plexiglasaufsatz sind Steine eines Hauses aus dem italienischen Weiler Falzano di Cortona enthalten, in das der damalige Gebirgspionier-Leutnant Josef Scheungraber im Juni 1944 elf Bewohner des Ortes treiben und es sprengen ließ.

Der einzige Überlebende sagte im Oktober 2008 vor dem Landgericht München gegen den damaligen Befehlsgeber aus und sorgte so für späte Gerechtigkeit: 65 Jahre nach dem Kriegsverbrechen ist der heute 94-jährige Josef Scheungraber wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dieses Urteil hat vermutlich auch zu einer Wende innerhalb der Gemeinde im Umgang mit den Protesten geführt.

Zudem stellt sich der seit 2008 amtierende CSU-Bürgermeister Adolf Hornsteiner wesentlich geschickter an als seine Vorgänger: Nach dem alten Motto »Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, umarme ihn«, erwirkte er in der Gemeinde die Zustimmung dazu, das Geschenk anzunehmen und – auch mit einhelliger Zustimmung des Lehrkörpers – vor der Grund- und Hauptschule aufzustellen. Die offizielle Einweihung wird am Sonntag stattfinden.

Der AK Angreifbare Traditionspflege sieht sich nun ein wenig in der Zwickmühle. Einerseits ist der Vorgang ein unerhörter Erfolg der Kampagne und senkt einen denkwürdigen Stachel ins Fleisch der Gemeinde Mittenwald und des Freistaates Bayern, die sich 50 Jahre geweigert hatten, die mehr als zweifelhafte Selbstinszenierung der alt und älter werdenden Angehörigen der NS-Gebirgstruppe auf dem nahe gelegenen Hohen Brendten in Frage zu stellen.

Andererseits betrachtet Hornsteiners Gemeinde das ganze als einen Deal: Das Denkmal wird aufgestellt, aber dafür hören die Proteste auf, die sich für den Touristenort geschäftsschädigend ausgewirkt hatten. Schon haben sich ausgerechnet am Jahrestag der Kapitulation Nazi-Deutschlands wieder die Gebirgsjäger – alte wie neue – am Hohen Brenden angesagt, die Botschaft der Proteste ist also dort oben noch immer nicht angekommen.

Wie aber kann man da das Ende der Proteste zusagen, fragen viele. Wieder andere fragen, ob sich der AK nicht nahtlos in eine das Geschehene einebnende deutsche Erinnerungskultur einreiht, wenn auch Uniformierte und Angehörige der Truppe, deren Verbrechen das Denkmal anprangert, bei der Zeremonie zugegen sind. Und ob der AK um des schönen Scheines Willen sogar bereit ist, darauf zu verzichten, die Kritik an der Tradition der Nazi-Gebirgstruppe auf die Bundeswehr auszudehnen. Immerhin sind deren Gebirgsjäger aktuell wieder im Kriegseinsatz, etwa in Afghanistan, und geben ungebrochen die alten militaristische Männertraditionen der Unmenschlichkeit weiter, wie einschlägige Skandale zeigen.

Der AK hat sich entschlossen, diese Widersprüche im Rahmen eines »Ratschlags« am Tag vor der Einweihung in München zu ventilieren. Es soll dabei nicht nur um eine Rückschau auf acht Jahre Protest gehen, sondern auch darum, ob das Erreichte tatsächlich ein Erfolg ist, wie man den fragwürdigen »Deal« mit der Gemeinde Mittenwald bewertet und ob die Kampagne tatsächlich zuende ist.

Programm des Ratschlags und Informationen zur Denkmalseinweihung: www.keine-ruhe.org

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