Machen Sie einfach so weiter

Schwerkraft - von Maximilian Erlenwein

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Was tut ein junger Bankangestellter, wenn sich vor seinen Augen ein Kunde, dem er soeben den Kredit gekündigt hat, eine Kugel in den Kopf jagt? »Machen Sie einfach so weiter«, lautet der Rat (die Weisung?) des Chefs an Frederik Feinermann, dem ebendies widerfahren ist. Mit einer Handvoll kalten Wassers auf der gefliesten Toilette der Bankfiliale indes ist die Schuld nicht abzuwaschen, die Feinermann auf sich geladen hat.

Wer war der Tote, der sich aus dem Gewissen des Bankangestellten nicht wegbügeln lässt wie eine Falte aus einem der teuren Hemden auf seiner metallenen Kleiderstange? Ein Bandname, er stand auf dem T-Shirt des Mannes, führt Frederik Feinermann in die CD-Abteilung eines Technikmarktes. Warum steckt er die Platte der »Freezing Beach Tornados« in die Sakko-Tasche, statt damit zur Kasse zu gehen? Weil nichts für den Gutverdiener nach dem »Vorfall« noch selbstverständlich ist. Sieben Jahre Bank-Karriere: vaporisiert durch einen einzigen, tödlichen, Schuss. Und plötzlich steht Feinermann seiner gar nicht so feinen Vergangenheit Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sie hat zwei Namen: Vince und Nadine.

Vince, ein alter Kumpel, jetzt in der Uniform des Technikmarkts, verhindert Feinermanns Bloßstellung durch den Kaufhausdetektiv. Seit beide gemeinsam in einer Band musizierten, ist viel Zeit vergangen. Vince hat die letzten sieben Jahre im Knast verbracht.

Nadine, Feinermanns Ex-Freundin, hat ihn längst aus den Augen verloren, währenddessen er sie jahrelang mit psychopathischer Vehemenz observiert. Sie lässt sein Herz nicht los. Der einstmals gemeinsam geträumte Traum, eine Reise nach Island, rückt durch die endlich forcierte Wiederbegegnung in beinahe greifbare Nähe. Ausgerechnet Island, die verklärte Idylle, der bankrotte Staat.

Der Todesschuss des kreditunwürdigen Bankkunden hat Feinermann aus seiner Rolle gerissen, die er bis jetzt so vorbildlich spielt. Die Fassade des Alltags glänzt noch, wenngleich nun in düsteren Tönen, während die Nacht den Aal zum Wehrwolf macht – Ich ist ein anderer, schrieb Rimbaud. Feinermann bricht in die Villa seines Chefs ein und hängt die Kunstwerke an den Wänden um – Reminiszenz an Hans Weingartners »Die fetten Jahre sind vorbei«. Auftakt zu einer Reihe von nächtlichen Einbrüchen in die Häuser seiner täglichen Kunden. Feinermann kennt die entscheidenden Details über die Reichen, die er in der Bank bedient und die nun seine Opfer werden. Vince, sein unfreiwilliger Komplize, sein Lehrmeister, hat das Know How.

Das kriminelle und immer brutalere Treiben, das für Feinermann ein Spiel ist – eine Flucht vor sich selbst auf der Suche nach sich selbst –, ist für Vince bitterer Ernst. Während Feinermann den Ausweg in der Gesetzlosigkeit sucht, wollte Vince just von dort in die Normalität vorstoßen; sein Ziel ist die eigene Psychobilly-Musikkneipe. Dass der Weg dahin nun doch wieder durch die Unterwelt führt, war seine Absicht nicht. Abermals macht sich Feinermann schuldig. Für Vince wird das Spiel eines um Leben und Tod.

Maximilian Erlenweins Film stellt die Frage nach dem echten Leben. Keine der Alternativen, die er aufzeigt, taugt als Antwort. Die Antwort, die es geben könnte – Nadine, Island – bleibt eine bloß romantisch gedachte, der sich die selbst geschaffene Wirklichkeit in den Weg stellt.

Wie Fabian Hinrichs Feinermanns Schizophrenie – jede der drei Seelen in seiner Brust ist krank: die des Bankangestellten, die des Verbrechers, die des Liebenden – verkörperlicht, ist sensationell. Unglaublich überzeugend auch Jürgen Vogel als Vince: ein knallharter, glatzköpfiger, tätowierter Typ, dessen im Inneren versenkter Aufrichtigkeit das Leben keinen Raum geben will. Schließlich Nora von Waldstätten als Nadine: eine isländische Fee. Ihr betörend betrübter Blick scheint immer schon zu wissen, dass das Objekt seiner Sehnsucht in dieser Welt nicht zu finden ist. Am unversöhnlichen Ende leuchtet in diesem Blick zum ersten Mal Wärme auf, Hoffnung auf echtes Leben – ein andermal.

Es gibt in Erlenweins starkem Film eine einzige Figur, die dem Gesetz der Schwerkraft zur Ehre gereicht und mit beiden Beinen auf der Erde steht. Glücklich sieht sie nicht aus. Diese Schlüsselfigur ist Frau Reichers (Eleonore Weisgerber), Feinermanns in reifer Schönheit verhärmte Abteilungsleiterin in der Bank. Recht schnell durchschaut sie das Doppelleben ihres Kollegen – und hält still, lebt auf, bewundert, liebt ihn womöglich gar für seinen Mut zum Bruch. Lange beobachtet sie Feinermann wie einen Filmhelden, der die Leinwand täglich acht Stunden mit dem eigenen Büro vertauscht. Aber das Leben ist kein Film, wenn man selbst nicht mitspielt, nicht mitspielen darf. Frau Reichers' erdende Schwerkraft soll Feinermann zum Verhängnis werden.

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