Die LINKE und der Mitgliederentscheid

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Die Mitglieder der LINKEN stimmen derzeit in einer Urabstimmung unter anderem über die Struktur des künftigen Parteivorstands ab – in einer gemeinsamen Antwort zur Doppelbesetzung des Parteivorsitzenden, des Bundesgeschäftsführers und des Parteibildungsbeauftragten. Eine weitere Initiative bemüht sich noch um Unterstützer (Stand gestern: etwas über 3000 von benötigten 5000) für einen zweiten Entscheid, der dieselben Fragen einzeln beantwortet. Beide Varianten unterscheiden sich auf den ersten Blick nur in einem Detail. Doch dahinter stehen offenkundig unterschiedliche politische Erwartungen. Davon zeugen auch das Pro und Kontra des Baden-Württembergers Bernhard Strasdeit, der den ersten Entscheid mit initiierte, und Jürgen Reents aus Berlin-Kreuzberg.

Kern der Frage ist ihr politischer Charakter

Jürgen Reents, Mitglied der LINKEN in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg.
Jürgen Reents, Mitglied der LINKEN in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg.

Von Bernhard Strasdeit

Ein Mitgliederentscheid könne das Führungsproblem nicht lösen, meint der Genosse Bockhahn im ND vom 19. März. Warum eigentlich nicht? Lothar Bisky und Oskar Lafontaine stehen nicht mehr zur Wahl. Niemand kann sie eins zu eins ersetzen. Die Mitgliedschaft hat nun die Möglichkeit, einem Personalkompromiss den Weg zu bahnen oder den Daumen zu senken. Stand ist: Die Personen sind umstritten, aber der Gesamtvorschlag erhält viel Vertrauensvorschuss aus Ost wie West.

In der Öffentlichkeit wird der Mitgliederentscheid als Zeichen von Souveränität und Konfliktlösung gewertet. Obwohl wir die spannenden Vorstandswahlen auf dem Parteitag in Rostock noch vor uns haben, stehen die politischen und programmatischen Fragen in der Partei wieder im Vordergrund. Es ist der schlauen Moderation Gregor Gysis zu verdanken, dass bei allen Personen auf dem Zettel in der Verhandlungsnacht des 25. Januar nicht nur Strömungszugehörigkeit, sondern auch Kompetenz und Bereitschaft zur Teamarbeit abgefragt wurden. Seit 1995 bin ich PDS-Mitglied. Meist wurden die aussichtsreichen KandidatInnen für den geschäftsführenden Parteivorstand unter den Landesvorsitzenden/Ost ausgeguckt. Niemals wurde in der LINKEN oder vorher in WASG und PDS ein Personalvorschlag für den engeren Parteivorstand auf so viele Beine gestellt.

Nun entscheiden die Mitglieder, ob dieses Tableau vom Bundesparteitag gewählt werden kann. Diese Vorentscheidung ist nicht dreigeteilt zu fällen. Deshalb haben die Initiatoren aus drei formalen Fragestellungen zusammenfassend eine Frage mit politischem Charakter gemacht und die heißt: Willst du das geschnürte Paket möglich machen? Ein JA bedeutet auf Dauer die Doppelspitze Frau/Mann im Parteivorsitz und vorübergehend die doppelte Besetzung von Bundesgeschäftsführer/in und Parteibildungsbeauftragten. Die kombinierte Fragestellung bewirkt keine »Entmündigung«, sondern entspricht genau der Sache, um die es geht. Eine Aufteilung in drei getrennte Fragen wäre nicht demokratischer, sondern technokratischer. Ich persönlich stimme doch nicht aus höherer Überzeugung für zwei Bundesgeschäftsführer, sondern weil dieses Modell in der aktuellen Situation zu einer Lösung der Probleme beitragen kann. Nebenbei: Die Tübinger Stadtwerke halten sogar drei Geschäftsführer aus und leben immer noch.

Die zweite Frage zielt auf die Grundsätze der Partei: Wird die Programmdebatte mit einem Mitgliedervotum abgeschlossen? Programmatisch sollen die Mitglieder das letzte Wort haben. Wenig sinnvoll sind dagegen Mitgliederentscheide über reine Struktur- und Satzungsfragen. Das würde die Diskussionsbereitschaft in der Partei mehr lähmen denn befördern.

Es ist also weder fair noch demokratisch, eine ordentlich beantragte Mitgliederabstimmung durch eine zweite, sich alternativ nennende, auszuhebeln. Das entpolitisiert die Befragung und chaotisiert das Verfahren. Deshalb: zweimal Mut zum JA!.

Demokratie ist nicht »Alles oder Nichts«

Von Jürgen Reents

Die zentrale Begründung für den begonnenen Mitgliederentscheid lautet, man wolle die Entscheidung über die künftige Führungsstruktur der LINKEN »auf eine möglichst breite Basis stellen«. Bei der Vorstellung der Initiative war entsprechend von innerparteilicher Aussöhnung und der Chance für einen neuen Konsens die Rede, nachdem die Mitglieder lange Zeit »staunendes Publikum« einer unerfreulichen Führungsdebatte gewesen seien.

Der Diagnose ist nicht zu widersprechen, der Therapie schon. Sie geht nicht vom mündigen Parteimitglied aus. In einer Einzelabstimmung könnten die Mitglieder sich mehrheitlich für drei Doppelspitzen entscheiden, hätten aber ebenso die Möglichkeit, nur das aus dem Paket auszuwählen, was ihnen für die weitere Entwicklung der Partei nützlich scheint. Es blamiert niemanden, wenn sich nicht der ganze, sondern nur ein (wichtiger) Teil eines Vorschlags durchsetzt. Dass es den Zusammenhalt der Partei gefährde, wenn diese keine drei Doppelspitzen erhielte, sondern nur eine, ist kein überzeugender Einwand. Immerhin kalkuliert die jetzige Abstimmung ja auch, dass das Strukturmodell insgesamt scheitern könnte – der Parteitag hätte mit solchem Ergebnis umzugehen. Wenn die Handlungsfähigkeit der LINKEN vom »Erreichen dieses Kompromisses« (drei Doppelspitzen) abhinge, wie die beiden scheidenden Parteivorsitzenden schreiben, wäre dies ein politisches Armutszeugnis für die Partei.

Angesichts einer zweiten Initiative, die die Einzelabstimmung ermöglichen will, wurde der Antrag der neun Landesvorstände vorzeitig und mit wenig Verständnis für Konsens und Aussöhnung (siehe oben!) vom Parteivorstand durchgewinkt. Denjenigen, die nur eine Doppelspitze im Vorsitz für nötig halten, bleibt so nur – von der Programmfrage abgesehen – ein Nein. Wenn der Dreierpack keine Mehrheit findet, wäre der Rostocker Parteitag weiterhin frei, einen Teil des Pakets (z. B. zwei Vorsitzende) zu befürworten – so wie ich einen Satz befürworten kann, ohne einen kompletten Text teilen zu müssen. Umgekehrt wäre es den Delegierten aber verwehrt, ein pauschal angenommenes Paket nachträglich wieder aufzuschnüren.

Eine Urabstimmung ist ein plebiszitäres Instrument, mit dem die Mitgliedschaft die Entscheidungshoheit über eine bedeutende Streitfrage ergreifen kann. Diese Hoheit muss aber einer echten Entscheidung gelten, nicht einer »Alles-oder-Nichts«-Lösung. Diese entspricht eher einem in die Partei verlängerten Ritual des Kreuzchenmalens bei Wahlen, denn einem Fortschritt in direkter Demokratie. Im Übrigen fehlt dem vorliegenden Mitgliederentscheid jede argumentative Beigabe eines Für und Wider, wie sie außerparteilich – bei Volksentscheiden – zu Recht verlangt wird.

Im Wirtschaftsrecht gibt es den Begriff des Kopplungsgeschäfts. Es meint, dass einem Vertragspartner beim Erwerb eines Produktes oder einer Leistung etwas Zweites, das er vielleicht gar nicht will, mit aufgedrückt wird. Dies gilt allgemein als unzulässig. Es sollte auch kein Vorbild für die innerparteiliche Willensbildung sein.

Bernhard Strasdeit, Landesgeschäftsführer der LINKEN in Baden-Württemberg.
Bernhard Strasdeit, Landesgeschäftsführer der LINKEN in Baden-Württemberg.
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