»Konzernspitze ohne Glaubwürdigkeit«

Warnstreik: Nach Ostern wollen die Lufthansa-Piloten den Arbeitskampf wieder aufnehmen

  • Lesedauer: 9 Min.
ND: Sind Piloten mehr als Angestellte mit einem hohen Gehalt?
Handwerg: Wir sind einerseits keine normalen Beschäftigten. Wir haben Probleme, die keine andere Berufsgruppe hat, und ja, wir sitzen an einer sehr zentralen Stelle. Andererseits sind wir aber ganz normale Angestellte, und wir können unsere Interessen nur über Gewerkschaften durchsetzen.

Was für einmalige Probleme haben Piloten denn?
Es gibt in der Fliegerei das Senioritätsprinzip. Wenn einer als Kopilot anfängt, kommt er in einer Liste aller Piloten im Unternehmen auf den letzten Platz. Im Lauf der Jahre wandert er auf der Liste nach oben, wenn ältere Kollegen am Anfang der Liste in Rente gehen. Nach einer gewissen Zeit ist er an einem Platz angelangt, wo die Kapitänsstellen anfangen. Das geht nur nach Planstellen. Es gibt kein Leistungssystem wie am Boden, wo man durch mehr Einsatz schneller die Karriereleiter hochklettern kann. Jeder muss eine hohe Leistung bringen, was in mehreren Überprüfungen im Jahr sichergestellt wird. Dieses System wurde
aus Gründen der Sicherheit entwickelt. Es soll im Cockpit zwischen Pilot und Kopilot keine Konkurrenzsituation entstehen. Aufgrund der perfekt zu beherrschenden Muttersprache in den Unternehmen im Ausland gibt es nur einen sehr begrenzten Arbeitsmarkt für Piloten. Bei einem neuen Arbeitgeber käme ich wieder nach ganz unten auf die Liste, hinter den
jüngsten Kopiloten. Ich kann also keinerlei Erfahrung mitnehmen. Ich hätte extreme Lohneinbußen und verlöre meinen Kapitänsstatus. Zudem sagt das neue Unternehmen: Wenn der schon so lange Kapitän war, kann er sich vielleicht gar nicht mehr in die Co-Pilotenrolle einfinden. Das heißt im Ergebnis: Wir sind mit dem Unternehmen verheiratet. Wir haben praktisch keine Möglichkeit, das Unternehmen zu wechseln, und das macht uns extrem erpressbar dem Unternehmen gegenüber. Deswegen kämpfen wir auch so
energisch.

Was passiert nach Ostern?
Wir haben für den 13. bis 16. April weitere Streikmaßnahmen angekündigt. Bei den Tarifgesprächen in den letzten vier Wochen hat sich nichts Wesentliches getan, das Angebot der Lufthansa ist in Teilen völlig inakzeptabel.

Ein großer Knackpunkt ist nach wie vor die 18 Jahre alte Sicherungsvereinbarung?
Diese Vereinbarung wurde zuletzt 2004 neu unterschrieben, abgesehen davon würde sie auch gelten, wenn sie hundert Jahre alt wäre. Sie ist natürlich ein wichtiger Knackpunkt, weil sie die Vereinbarung ist, die uns überhaupt einen gewissen Schutz in einem global operierendem Unternehmen sichert. Diese Sicherungsvereinbarung schreibt vor, dass
wenn unter der Dachmarke Lufthansa Passagierflugzeuge mit über 70 Sitzen eingesetzt werden, nur Beschäftigte darin arbeiten, die unter den Geltungsbereich des Konzerntarifvertrages fallen. Bei Lufthansa Italia will der Konzern das brechen, im Inland findet dies schon statt.

Was sind konkrete Forderungen von VC?
Wir sind ursprünglich mit einer konkreten Forderung in die Tarifverhandlungen gegangen. Die Dynamik im Luftfahrtgeschäft war aber 2009 sehr groß. Darum wollte Lufthansa von uns Beiträge für ihr Sparprogramm »Climb 2011«. Wir haben gesagt: Gut, darüber können wir reden, aber dann möchten wir natürlich auch etwas, nämlich, dass die bestehenden Tarifverträge wieder eingehalten werden. Unsere Forderung ist, das dass die bestehenden Vereinbarungen erst mal eingehalten werden müssen und dass hier klargestellt werden muss, wie sie zu verstehen sind. Wenn wir massgeblich beteiligt sind am Erfolg des
Unternehmens,dann wollen wir auch mit dem Unternehmen wachsen. In den letzten Jahren erleben wir zunehmend, dass Lufthansa sich neue Dinge ausdenkt, wie man Schlupflöcher findet, um die Vereinbarung zu umgehen. Wir sind nicht bereit, das weiter zu akzeptieren. Das Vertrauen ist erschüttert. Es macht vor diesem Hintergrund überhaupt keinen Sinn, neue Vereinbarungen abzuschließen, solange man nicht wieder eine Basis von
Anstand und Ehrlichkeit herstellt.

Was will Lufthansa mit dieser Politik erreichen?
Das macht ja nicht nur die Lufthansa. Dieses Prinzip »Teile und Herrsche« kann man seit Jahren überall in der Wirtschaft beobachten. Man versucht einzelne Mitarbeitergruppen zu schaffen, sie zu spalten und die kleinen Gruppen dann gegeneinander auszuspielen. Die Firmen sagen, es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit, aber es geht oft um die Rendite. Diese
Politik richtet sich gegen das eigene Personal, und wenn der Konzern sagt, es ist gut, wenn die Arbeitsbedingungen im Cockpit möglichst billig und schlecht sind, steigert das vielleicht kurzfristig die Gewinne für die Aktionäre. Zu unserem Wohl ist das aber sicher nicht. Dass man von uns jetzt will, dass wir Geld abgeben, damit dieser Kurs eingeschlagen werden kann, ist ein wenig illusorisch, oder?

Wie bewerten Sie die Rolle des Konzerns beim Streik im Februar?
Unsere Verhandlungsforderungen liegen der Geschäftsführung seit über einem Jahr vor. Das Management hat bis zur letzten Sekunde gewartet, sich konsequent einem Spitzengespräch verweigert. In dem Moment, wo im Februar der Streik begonnen hat und der Schaden eingetreten ist, gehen sie vor Gericht und versuchen wegen »unrechtmäßiger Forderungen« eine Einstweilige Verfügung zu erreichen. Warum hat die Lufthansa diese Klage nicht eingereicht, als der Streik angekündigt war? Die Vermutung liegt nahe, dass sie gewartet haben, bis der Schaden eingetreten ist, um dann die Gewerkschaft mit einer Schadenersatzforderung kaputt zu klagen oder vehement zu schwächen.

Wie kam es zum Schulterschluss mit der »Unabhängigen Flugbegleiter Organisation« (UFO)?
Wir haben ein gutes Verhältnis zur UFO und immer schon große Sympathie für die Situation der Kollegen in der Kabine gehabt. Die Konzernspitze hat keine Glaubwürdigkeit mehr beim Personal. Wir machen uns insgesamt Sorgen, und das wollen wir jetzt gemeinsam zeigen. Ich bin überzeugt davon, dass viele Kollegen am Boden nachvollziehen können, was sich bei uns abspielt, weil sie das in Teilen schon selber erlebt haben und erleben.

Gibt es auch gemeinsame Aktionen mit der UFO?
Wir haben noch keine Streikmaßnahmen koordiniert, und mir ist nicht bekannt, dass UFO derzeit Warnstreiks plant, weil die jetzt mitten in den Verhandlungen sind. Aber am 12. April wird es seit langem mal wieder eine Gesamtpersonalversammlung von Cockpit und Kabine bei Lufthansa geben, mit einer anschließenden Demonstration der beiden
Gewerkschaften.

VC hat sich mit der ver.di-Gründung 2001 selbstständig gemacht und sieht sich seitdem immer wieder Vorwürfen ausgesetzt.
Uns wird immer vorgeworfen, wir seien aus Egoismus aus der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) ausgetreten, als ver.di gegründet wurde. Wir haben über Jahrzehnte aufgrund der schieren Größe der Gewerkschaft unsere Interessen nicht vertreten gesehen. Wenn sie eine Gewerkschaft mit bspw. 100 000 Leuten haben, von denen 3000 Piloten sind, dann interessieren sich die 97 000 oftmals nicht für das, was die anderen
interessiert. Deswegen sind unsere Themen oft hinten runter gefallen. Das war der Grund und nicht, dass wir gesagt haben, wir interessieren uns nicht für die Belange des Bodens. Es gab in meiner Zeit bei der Lufthansa vor der Eigenständigkeit von VC kein einziges Mal auch nur den Ansatz, dass wir für unsere Belange streiken. Ich glaube, wir sind ver.di weniger »feindlich« gesinnt, als ver.di uns gegenüber. Wir wünschen der ver.di jedenfalls viel Erfolg!

Die Tarifrunde für 50 000 Beschäftigte beim Bodenpersonal spitzt sich derzeit auch zu. Gibt es aktuell mit ver.di Kontakte?
Wenn sich das Bodenpersonal uns anschließen will, haben wir selbstverständlich nichts dagegen. Wir werden aber aktiv nicht auf ver.di zugehen.. Wir kriegen über die Medien immer wieder mitgeteilt, dass man die Spartengewerkschaften auch Sicht der ver.di verbieten sollte. Es heißt von Firmenseite immer, man solle flexibel sein und sich
die Probleme im Einzelnen sehr genau angucken. Und wenn wir dann Sparten-Tarifverträge abschließen, wird uns vorgeworfen, wir würden nurfür einen kleinen Teil der Belegschaft Gewerkschaftspolitik machen. Das Problem der ver.di ist doch, dass sie eine sehr große, heterogene Gruppe vertritt. Die Gehälter gerade in den unteren Gehaltsstufen hat
man über Jahre aus sozialen Gründen stärker angehoben, als die oberen Gehälter. Das war sicherlich kurzfristig gut für die Kollegen, aber langfristig hat es dazu geführt, dass gerade in den unteren Gruppen, wo sehr viel Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt herrscht, die Leute so teuer geworden sind, dass die Firmen angefangen haben, auszulagern. Die
Unternehmen haben die Tarife unterlaufen, indem sie Aufträge an Fremdfirmen vergeben haben, die gar nicht tarifgebunden waren. Langfristig hat diese Tarifpolitik zu Arbeitsplatzabbau geführt.

Was wäre denn dazu die Alternative? Etwa mehr Spartengwerkschaften, die nur ihre eigenen Interessen vertreten?
Nein. Wenn es zu viele Kleingruppen gibt, wird die Sache auch irgendwann schwierig. Vielleicht hätte man innerhalb der großen Gewerkschaften differenzieren und getrennte Abschlüsse machen müssen Es gibt ja nicht DEN großen Kuchen, der zu verteilen ist. Und wenn die Anderen mehr kriegen, kriege ich weniger. Das ist Unsinn. Die Realität zeigt, würden wir als VC sagen, wir sparen statt geforderter 80 Millionen Euro 100 Millionen für die Lufthansa ein, heißt das ja nicht, dass das Kabinenpersonal oder der Boden 20 Millionen Euro weniger sparen müssen. Das Geld wird ja nicht den anderen Berufsgruppen zur Verfügung gestellt, sondern an die Aktionäre abgeführt. Deswegen ist anderherum
die Vorstellung ein wenig naiv: Wenn die mehr kriegen, krieg ich weniger. Im Gegenteil, wenn VC einen höheren Abschluss hinbekommt,dann können die anderen sich mit anhängen.

Thema Gehälter: Die Piloten verdienen doch wahrlich genug. Wie wollen Sie Ihren Arbeitskampf der Öffentlichkeit erklären?
Den Vorwurf kennen wir seit langem. Deutschland ist bekannt als Neidgesellschaft. Um sich nicht wirklich mit dem Thema beschäftigen zu müssen, macht man es sich halt einfach und sagt: Die haben so viel Gehalt, den stehen eigentlich keine Rechte mehr zu. Warum das so ist? Das ist eine tiefenpsychologische Frage. Ich finde es traurig, dass ab einer gewissen Gehaltsgruppe das Grundgesetz in Deutschland nicht mehr gelten soll. Es heißt immer, man wolle Leistungsträger fördern, wenn man sie hat will man sie aber nicht entsprechend bezahlen.

Was ist denn nun die VC? Interessenvertretung für eine Berufsgruppe oder Gewerkschaft mit auch gesamtgesellschaftlichem Anspruch?
Wir sind entstanden als Berufsverband, und das sind wir auch nach wie vor. Wir machen viel Arbeit im Bereich Flugsicherheit, was auch dem Passagier zugute kommt, da er ja keine andere Vertretung hat. Und wir haben den tariflichen Vertretungsanspruch. Von der Verantwortung, die wir Piloten haben, sind wir mit einem mittelständischen Unternehmer
vergleichbar. Nicht nur die unmittelbare Verantwortung für Leib und Leben,sondern auch gerade die wirtschaftliche Verantwortung für das Unternehmen ist sehr groß. Eine Verspätungsminute eines Jumbos kostet etwa 2000 Euro, sparen wir durch unser Engagement also fünf Minuten auf einem Flug ein, so sparen wir der Firma mal eben 10 000 Euro. Ein Unfall kann das Ende einer Fluggesellschaft bedeuten. Was aber die Befugnisse
außerhalb der Flugzeuges angeht, sind wir Angestellte. Diesem Zwiespalt sind wir ausgesetzt.


Der Flugkapitän Jörg Handwerg ist Vorstandsmitglied bei der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) und seit 18 Jahren bei der Lufthansa beschäftigt. Über die laufenden Tarifauseinandersetzungen der 4500 Lufthansapiloten sprach mit ihm Jörg Meyer.
Der Flugkapitän Jörg Handwerg ist Vorstandsmitglied bei der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) und seit 18 Jahren bei der Lufthansa beschäftigt. Über die laufenden Tarifauseinandersetzungen der 4500 Lufthansapiloten sprach mit ihm Jörg Meyer.
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