De Maizière warnt vor »Sturzgeburt«

Innenminister in Afghanistan – bei einer Polizei zwischen Desertion, Drogen und Korruption

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist zu Gast in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Im Mittelpunkt seiner Gespräche steht der Polizeiaufbau in Afghanistan. Der ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte.

Der Polizeiaufbau ist ein Kernpunkt der in London zu Jahresbeginn beschlossenen neuen Afghanistan-Strategie, an deren Ausarbeitung Deutschland großen Anteil hat. Derzeit sind rund 190 deutsche Polizeiausbilder in Afghanistan. Demnächst will man mit bis zu 260 Kräften vor Ort sein, die in einer bilateralen und in einer EU-Mission eingesetzt werden. »Viel mehr kann man nicht machen«, sagte de Maizière und schloss einen weiteren Ausbau des Kontingents aus.

Die Kosten allein des bilateralen Polizeiprojekts sind enorm. Im Jahr 2002 stellte man noch sechs Millionen Euro Haushaltsmittel ein, 2009 waren es bereits 50,2 Millionen Euro. Aber de Maizières Bemerkung bezieht sich gewiss auch darauf, dass die Personalgewinnung für solche Polizeieinsätze »eine große Herausforderung für Bund und Länder« darstellt. So steht es in Dokumenten, die dem Bundestags-Innenaussschuss zugeleitet wurden. Gemeint ist: Trotz Bildung eines Arbeitsstabes »Polizeimission Afghanistan« vor rund einem Jahr fehlt es an Freiwilligen. Ziel ist es, bis Mitte 2010 »sukzessive einen Gesamtpool von ca. 300 Bundespolizisten aufzubauen, der für kurz-, mittel- und langfristige Einsätze in Afghanistan zur Verfügung steht«.

Auf der Londoner Konferenz war beschlossen wurden, dass die Anzahl der afghanischen Ordnungshüter von derzeit 97 000 bis Oktober 2011 auf 135 000 steigen soll. Die Zuwächse werden vor allem bei Gendarmerie- und Grenzpolizeikräften erfolgen. Aber diese Pläne scheinen weitgehend Wunschdenken zu sein. Das Innenministerium in Kabul versucht gerade festzustellen, wie viele Polizisten derzeit wirklich Dienst tun.

Britische Experten gehen von »Verlusten« aus, die bis zu einem Viertel der Gesamtstärke betragen. Die Regierung in London hat unlängst interne Analysen zum inneren Zustand der afghanischen Polizeitruppe in Auftrag gegeben. Die Zeitung »The Independent« berichtete in ihrer Sonntagsausgabe über einige Resultate der Nachforschungen. Deren Stichworte lauten: Korruption, Desertion, Geisterrekruten und Drogenmissbrauch.

Korrupte lokale Kommandeure stehen im Verdacht, Gehälter von Polizisten einzustreichen, die nur namentlich existieren. Verwiesen wird auf zahlreiche Fälle von Bestechung, Absprachen mit den Rauschgifthändlern und Einschüchterung von Schulkindern. Einfache Dienstgrade halten an Kontrollpunkten die Hand für privaten Wegezoll auf. Mehr als die Hälfte der Beamten kann weder lesen noch schreiben. Hinzu kommt eine beachtliche Desertionsquote. Oft müssen Polizisten entlassen werden, weil sie bei Dopingtests positiv aufgefallen sind. Nach afghanischen Angaben wurden landesweit 16 Prozent der Polizisten positiv auf Drogen getestet. Britische Experten gehen von anderen Zahlen aus. Beispielsweise sollen in der gerade wieder heiß umkämpften Provinz Helmand über sechzig Prozent der »Ordnungshüter« drogenabhängig sein.

Der deutsche Innenminister bekräftigte, es gehe um eine »nachhaltige Verantwortungsübergabe«. Die dürfe aber »nicht kopflos und nicht als Sturzgeburt« erfolgen. Über einen Zeitpunkt mag er nicht reden. Die Beamten im britischen Außenamt werden deutlicher: Die Bildung einer unabhängigen, professionellen und verantwortungsvollen Polizei wird viele Jahre dauern und erfordert beträchtliche internationale Unterstützung.

Obama in Kabul

Zu Redaktionsschluss wurde bekannt, dass US-Präsident Barack Obama am Sonntagabend überraschend in Kabul eingetroffen ist. Es ist sein erster Besuch als Erster Mann der USA. Obama will mit Präsident Hamid Karsai sprechen und US-Truppen besuchen.

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