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Viel Dramatik, wenig Kompetenz

Studie zeigt: Fernsehärzte behandeln ihre Patienten häufig falsch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Arztserien im Fernsehen erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit. Und viele Zuschauer vertrauen darauf, dass die darin gezeigten Behandlungsmethoden medizinisch korrekt sind. Wie kanadische Forscher jetzt aber nachgewiesen haben, ist oft das Gegenteil der Fall.
Serienweise Entsetzen am Krankenbett: Dr. House (re.)
Serienweise Entsetzen am Krankenbett: Dr. House (re.)

»Zigaretten. Zweimal täglich eine, nicht mehr und nicht weniger. Untersuchungen haben ergeben, dass Zigarettenrauchen eine wirksame Methode ist, Darmerkrankungen in den Griff zu kriegen. Dazu kommt, dass Sie damit 30 Prozent cooler aussehen.« Dieser Spruch stammt von Fernseharzt Dr. House, dessen unkonventionelle und mitunter zynische Art, Patienten zu behandeln, jeden Dienstag bis zu fünf Millionen RTL-Zuschauer fesselt. Aber auch andere Arztserien aus den USA haben in Deutschland eine große Fangemeinde. Beispiel »Grey's Anatomy«. Hier startet am 31. März bereits die sechste Staffel auf ProSieben.

Doch wie gut und genau behandeln Fernsehärzte ihre Patienten eigentlich? Kanadische Forscher um Andrew Moeller von der Dalhousie Universität in Halifax haben dazu über 300 Folgen populärer TV-Arztserien analysiert, allen voran »Dr. House« und »Grey's Anatomy«. In 59 Folgen wurde zum Beispiel ein epileptischer Anfall gezeigt, der in solchen Filmen häufig dazu dient, mehr Spannung zu erzeugen. Aber auch im realen Leben sind Menschen bisweilen gefordert, auf einen epileptischen Anfall zu reagieren. So gesehen wären Fernsehdramen eigentlich ein ideales Instrument zur Aufklärung des Publikums über erste Hilfe bei Epilepsie, sagt Moeller.

Was aber geschieht in den Filmen? In 51 TV-Folgen wurden Personen, die einen epileptischen Anfall hatten, sofort ärztlich behandelt. Experten weisen indes darauf hin, dass die meisten Krampfanfälle nach wenigen Minuten von selbst wieder abklingen. Nur wenn sie länger dauern, sollte ein Arzt gerufen werden. In 25 Folgen versuchte das medizinische Personal, die zuckenden Epileptiker festzuhalten und ihnen etwas in den Mund zu schieben, um die Zähne zu schützen. Das sei schlicht fahrlässig, erklärt Moeller. Denn der Gegenstand im Mund könne zu unangenehmen Verletzungen führen. Vielmehr gelte es, alle potenziell gefährlichen Objekte (Tische, Stühle, Gläser etc.) aus dem Umfeld der Patienten zu entfernen, um diese vor einer möglichen Selbstverletzung zu schützen. Nur in 17 Folgen wurde das richtig dargestellt.

Arztserien im Fernsehen, auch solche aus deutscher Produktion, haben oft unterschätzte Nebenwirkungen, meint Kai Witzel, Chirurg für minimalinvasive Medizin am St. Elisabeth Krankenhaus in Hünfeld. Er und seine Kollegen befragten 162 Patienten, die vor einer Leistenbruch- bzw. Gallenblasenoperation standen: Wie viele Stunden verbringen Sie täglich vor der Mattscheibe. Und: Wie vertraut sind Sie mit Arztserien? Die Auswertung der Daten erbrachte eine überraschende Korrelation. Danach haben Menschen, die TV-Medizinern regelmäßig bei der Arbeit zuschauen, mehr Angst vor einer bevorstehenden Operation. »Die im Fernsehen dargestellten operativen Eingriffe verlaufen nahezu immer dramatisch«, so Witzel. »Das steigert die Einschaltquote, hat jedoch mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Unsere Studie zeigt, dass Arztserienfans Schwierigkeiten haben, diesen Unterschied zwischen Fernsehen und Wirklichkeit für sich nachzuvollziehen.«

Viele sind folglich bitter enttäuscht, wenn es in der Realität anders zugeht als auf dem Bildschirm, wo Ärzte jedes Wehwehchen ihrer Patienten mit unendlicher Geduld behandeln und bisweilen sogar deren Eheprobleme schlichten. Auch Witzel wird hin und wieder gefragt: »Warum, Herr Doktor, machen Sie das eigentlich nicht so wie Professor Brinkmann in der Schwarzwaldklinik?« Gewiss steckt hinter dieser Frage eine gehörige Portion Naivität. Dennoch könne man aus TV-Serien manches lernen, resümiert der Chirurg: »Ein Arzt muss mit seinen Patienten zwar nicht unbedingt Cappuccino trinken, aber etwas mehr Zeit für Gespräche sollte er sich schon nehmen.«

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