Geschichte der Friedensdemos zu Ostern
Bundesdeutsche Anti-Atom-Bewegung organisierte 1960 nach britischem Vorbild ersten Ostermarsch
Im April 1958 demonstrierten in Hamburg mehr als 150 000 Menschen gegen die atomare Bewaffnung der BRD. Nach der Abschlusskundgebung taten einige Beteiligte etwas bisher in diesem Lande nie da gewesenes: sie blieben vor der Militäreinrichtung einfach sitzen. Zwei Jahre später organisierten die Initiatoren dieses Sit-ins, Helga und Hans-Konrad Tempel, den ersten Ostermarsch. Diese Idee machte schnell Schule.
Die Tempels hatten in Großbritannien 1959 an einem Ostermarsch teilgenommen, den das pazifistische Direkt Action Committee Against Nuclear War zum zweiten Mal von London zum Atomwaffenlaboratorium Adlermaston durchführte. Sie griffen diese Idee auf und organisierten 1960 den ersten Ostermarsch in der Bundesrepublik von Hamburg zum Truppenübungsplatz Bergen-Hohne, wo Atomraketen vom Typ »Honest-John« getestet werden sollten. Der Demonstration begann am Karfreitag mit 120 Teilnehmern.
»Für die Pazifisten war dieser Marsch eine sehr ernste Angelegenheit. Es wurde in Schlips und Kragen marschiert, um ein möglichst eindrucksvolles und ordentliches Bild abzugeben«, beschreibt der Hamburger Historiker Markus Gunkel in dem Buch »Unser Nein zur Bombe ist ein Ja zur Demokratie«. »Der Marsch stieß in den Orten, durch die er kam, kaum auf positive Resonanz.« Gaststätten bleiben geschlossen, Mütter holten ihre Kinder von der Straße, und oftmals leitete die Polizei den Protestzug weiträumig an den Ortschaften vorbei.
Trotzdem trafen sich am Ostersonntag rund 1000 Atomwaffengegner in Bergen-Hohne. Mit dem guten Start war diese Aktionsform in der BRD etabliert, 1961 gab es sie schon an 12 Orten in der BRD, an denen sich 20 000 Menschen beteiligten, 1964 fast 100 Märsche mit mehr als 100 000 Beteiligten, 1967 marschierten 150 000 und 1968 etwa 300 000 Menschen für den Frieden.
Ende der 60er Jahre löste sich die Ostermarschbewegung zunehmend in der entstehenden Außerparlamentarischen Bewegung (APO) auf. Neben dem Engagement gegen Atomwaffen spielte umfassende Gesellschaftskritik eine immer größere Rolle. Ostern 1968 wurde in Berlin Rudi Dutschke angeschossen. In Berlin organisierten Ostermarschierer spontan Aktionen gegen den Springer-Konzern, und auch in Essen wurden die Ausfahrten des Springer-Hauses im Presseviertel blockiert. Die Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Wasserwerfern, 2000 Demonstranten wurden an diesem Tag verletzt, 600 von ihnen festgenommen. Das war das vorläufige Ende der Ostermarschbewegung.
Eine neue Friedensbewegung bildete sich Ende der 70er Jahre, um gegen die Stationierung von atomaren Sprengköpfen in der BRD zu protestieren. Anfang der 80er Jahre wurde an die Ostermarschtradition angeknüpft. 1982 fand der erste Ostermarsch Ruhr statt: Innerhalb von drei Tagen von Duisburg quer durchs Ruhrgebiet, und von Bielefeld durch Ostwestfalen und das Münsterland. Drei Tage wurde tapfer marschiert, auf den Asphaltstraßen des Ruhrgebietes und über die Dörfer, vorbei an Kühen als oftmals einzigem Publikum, durch die ostwestfälische Pampa. Zehntausende trafen sich bei der Abschlusskundgebung in Dortmund.
Ende der 80er Jahre wurden die Atomraketen größtenteils wieder abgezogen, hinzu kam die Schwächung der Linken nach dem Zusammenbruch des Sozialismus. Die Friedensbewegung erlebte einen absoluten Tiefpunkt, wie die Linke insgesamt. Hinzu kam die Hoffnung bei vielen, dass nach dem Ende der Systemkonfrontation friedlichere Zeiten anbrechen würden. Ein Hoffnung, die indes mitnichten erfüllt wurde.
Eine neue Hochzeit erlebte die Friedensbewegung nach dem Beginn des Jugoslawienkriegs im März 1999. Mehr als 10 000 Menschen beteiligten sich daraufhin beispielsweise am Ostermarsch in Hamburg. Die Beteiligung ebbte indes immer schnell wieder ab, nur wenn wieder ein Krieg ausbrach – Irak, Afghanistan – gingen wieder ein paar Menschen mehr auf die Straße.
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