Fußball-Weisheiten

Sportwissenschaftler bestätigen alten Mythos

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer gefoult wird, sollte den Elfmeter nie selbst schießen. Ein Tor kurz vor der Halbzeit ist wichtiger als zu Beginn. Nach einem erzielten Treffer steigt die Gefahr, ein Gegentor zu kassieren ... Die Liste von »Fußball-Weisheiten« ist lang. Aber nur die wenigsten halten einer empirischen Überprüfung stand, zumal sie selten so tiefsinnig sind wie Sepp Herbergers Spruch, dass der nächste Gegner immer der schwerste sei. Dagegen spielt es keine Rolle, wer nach einem Foul den Elfmeter schießt. Eine statistische Auswertung von 1000 Bundesliga-Strafstößen hat ergeben: Gefoulte und nicht gefoulte Schützen treffen mit einer Wahrscheinlichkeit von 77 Prozent.

Das am besten untersuchte soziologische Phänomen ist der Heimvorteil. Dabei konnte in vielen Studien nachgewiesen werden, was die Fans immer schon ahnten: Schiedsrichter pfeifen oft zugunsten der Heimelf. Ihnen Absicht zu unterstellen, wäre von Ausnahmen abgesehen sicher ungerecht. »Es ist die Geräuschkulisse im Stadion, von der Schiedsrichter sich beeinflussen lassen«, so Christian Unkelbach (Uni Heidelberg) und Daniel Memmert (Sporthochschule Köln). Sie haben 1530 Bundesligaspiele analysiert und festgestellt: Je lauter das Heimpublikum johlte, desto mehr Gelbe Karten gab es für das Auswärtsteam.

Die Forscher machten ein Experiment: Sie präsentierten 20 DFB-Schiedsrichtern 56 Foulszenen mit und ohne Publikumslärm. Die Schiedsrichter wurden aufgefordert, wie in einem echten Spiel sofort über die Vergabe einer Gelben Karte zu entscheiden. Ergebnis: Bei hohem Lärmpegel zückten sie häufiger den Karton als in identischer Situation ohne Lärm. Die Forscher vermuten, dass Schiedsrichter von der Lautstärke des Publikums unbewusst auf die Schwere des Fouls schließen.

Was für eine Gelbe Karte gilt, gilt wohl auch für andere Entscheidungen. Man erinnere sich: Im Halbfinale der Fußball-EM 1988 sprach der Referee im Spiel BRD- Niederlande den »Oranjes« in der 74. Minute einen umstrittenen Strafstoß zu. Kein Wunder, könnte man sagen, im Hamburger Volksparkstadion brüllten drei Viertel der Zuschauer für Holland. Auch die jüngste Beschwerde von Hertha BSC, man werde von Schiris benachteiligt, erscheint so in neuem Licht. Denn die Berliner durften im Spiel gegen den VfB Stuttgart nur 25 000 Karten an eigene Fans verkaufen, deren Gebrüll offenbar nicht ausreichte, um nach klarem Handspiel eines Stuttgarters im Strafraum den Schiedsrichter zum Elfmeterpfiff zu verführen. Hertha verlor 0:1. Allerdings hatte sich der Verein den Ausschluss vieler Fans wegen vorausgegangener Gewaltexzesse selbst zuzuschreiben.

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