Tücken einer Kultur der Erinnerung

Antifaschistisches Heft Lotta zu Gedenkpolitik

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe der antifaschistischen Zeitschrift Lotta wird die auf die NS-Vergangenheit bezogene Erinnerungskultur in Nordrhein-Westfalen beleuchtet.

In ihren vergangenen Ausgaben hat die Zeitschrift Lotta aus Oberhausen verschiedene NS-Gedenkstätten vorgestellt. Ein Anliegen der Redaktion ist es, »Schlaglichter auf die Herausforderungen (zu werfen), die sich der Erinnerungskultur im 21. Jahrhundert stellen«. Dabei werden diese im Eröffnungsbeitrag von Tanja Herrmann ohne Abgrenzung zu offenkundigen Tendenzen einer Musealisierung und Entpolitisierung unter den Begriffen »Verdrängung« versus »Aneignung« verhandelt. Aus ihrer Sicht machen lokale Gedenkstätten »die Erinnerung an die Vergangenheit greifbar«. Einerseits spiegeln sich gegen alle Formen der Verdrängung »immer auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem NS« wider. Allein die schiere Existenz der Gedenkstätten böte »politischen Konfliktstoff«, ließen sich hier doch Fragen nach den »Profiteuren der Arisierung, Denunzianten, Sympathisanten und Wegseher« weniger leicht abweisen. Auf der anderen Seite sieht Herrmann sehr wohl, dass in diesem Land »die Schuldbewältigung (...) als Eintrittsticket in den internationalen Kreis der Guten« fungiere.

Menschheitsverbrechen oder Hölle auf Erden?

An diesen Gedanken knüpft der Beitrag von Marc Czichy über die »Kontinuität im Wandel« in der Erinnerung an die NS-Vergangenheit im 21. Jahrhundert an. Richtig dabei dessen Einsicht: »Die Annahme der Täterschaft durch die offizielle Politik führt gerade nicht zu einer Konkretisierung der Erinnerung an NS-Verbrechen und an die verantwortlichen Täterinnen und Täter.« Andererseits findet sich in diesem Beitrag der irritierende Einfall, dass die »Erinnerung im globalen Zeitalter« zunehmend dafür sorge, dass »die Schoah (...) zu einem Menschheitsverbrechen reduziert« werde. Diese Aussage verblüfft, denn man kann sie leicht in die Frage umdrehen: Wenn die Schoah nicht eben auch ein Menschheitsverbrechen war, was war sie denn dann? Ob es sein kann, das hier unter Umständen der Begriff einer »Hölle auf Erden« präziser ist, und wenn ja: Wäre es dann nicht naheliegender, jedes reflektierte Nachdenken darüber einzustellen? Man könnte sich ja damit begnügen, einfach an die Existenz der Schoah im Sinne eines übersinnlichen Phänomens zu glauben, wie es ohnehin in der Logik des aus der Bibel entnommenen Terminus liegt.

Der Beitrag von Kiki Thimas »Erinnerungskultur remixed« geht dann den »Anforderungen an Erinnerungskultur und Gedenkpolitik in der Einwanderergesellschaft« nach. Sie plädiert darin für weitere »Vernetzungen zwischen Gedenkstätten und migrantischen Organisationen«, um zukünftig »Formen inklusiver Erinnerung zu ermöglichen«. Während der Einbindung von Migranten großer Stellenwert beigemessen wird, vermisst man in dem Heft einen Beitrag zu der Frage, wie heute aus antifaschistischer Perspektive Anforderungen an die Erinnerungskultur und Gedenkpolitik in der hiesigen Elitengesellschaft zu formulieren sind. Denn waren es nicht umsichtig planende Polizeioffiziere, Bankmanager, Ministerialdirigenten usw., die den Massenmord an den europäischen Juden, Sinti und Roma sowie den russischen Kriegsgefangenen ins Werk gesetzt haben?

Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW. Nr. 38/2010, 3 €.
Internet: projekte.free.de/lotta

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