Brötchen statt Oblaten

Ehemalige Kirche wird Frühstückscafé

  • Jan Fragel, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
97 evangelische Kirchen wurden in Deutschland seit 1990 verkauft. 41 wurden nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) umgewidmet – so auch in Hann. Münden bei Göttingen.

Hann. Münden. Lilien blühen prächtig in einer Glasvase, Kerzen brennen, eine zarte weinrote Tischdecke ist auf dem steinernen Altar ausgebreitet und Geschirr steht bereit. In der St.-Aegidius- Kirche in Hann. Münden bei Göttingen sieht es fast so aus, als ob ein Pastor die Gemeinde gleich zum Abendmahl erwartet. Doch die Kirche ist seit 2006 entwidmet. Nun eröffnet der Denkmalschützer und Hotelier Bernd Demandt in dem ehemaligen Gotteshaus ein Frühstückscafé.

Demandt und seine Mitarbeiterin wollen täglich Frühstücks- und Kaffeegäste begrüßen, die auch am Altar Platz nehmen können. Die Aegidienkirche gehört zu den 97 evangelischen Kirchen in Deutschland, die seit 1990 verkauft wurden. 41 wurden nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) umgewidmet und 46 abgerissen.

Keine Saufgelage

Demandt bezeichnet sich als »Denkmal-Aktivist«. Für ihn erzählen historische Gebäude Geschichten, die weitergesagt werden sollten. Mit viel Liebe zum Detail hat er die Kirche seit Januar umgebaut und 50 000 Euro investiert. Den ursprünglichen kirchlichen Charakter und die Botschaft des Gebäudes aus dem 13. bis 14. Jahrhundert will er unbedingt erhalten. Die Kirche sei zwar entwidmet worden, aber: »Ich möchte sie nicht entweihen.« Darum werde es im »Café Aegidius«, so der neue Name, auch »keine Saufgelage« geben. »Nur ein Glas Sekt oder Bier werden wir ausschenken«, sagt Demandt. Denn auf diese Einnahmen könne auch er nicht verzichten. Schließlich möchte er die ehemalige Kirche in Zukunft auf eigene Kosten weiter sanieren und ausbauen. So beabsichtigt er, im Glockenturm irgendwann einmal ein Hotelzimmer einzurichten.

Übernahme für zwei Euro

Zudem berge die Kirche noch weitere Schätze, sagt Demandt. Sie zu heben, koste viel Geld. Demandt deutet auf die Orgelempore. »Dort haben wir Graffiti aus der Barockzeit entdeckt und freigelegt.« Die Zeichnungen sollen zu sehen bleiben. Auch im Chor ist ein kleiner Teil einer Schablonenmalerei aus dem 19. Jahrhundert zu erkennen.

Am Altar, der mit Frühstücksgeschirr und Blumen dekoriert ist, wacht eine 3,50 Meter hohe Jesusfigur aus Holz. Die Skulptur hat Demandt aus der benachbarten St.-Blasius-Kirche geschenkt bekommen. Im Kirchenschiff können die Gäste auf den alten Kirchenbänken sitzen. Es soll Platz für 150 Personen geben.

»Die meisten Mündener freuen sich auf das Café in ihrer ehemaligen Kirche«, sagt Demandt, der das Gebäude 2008 für einen symbolischen Betrag von zwei Euro übernommen hat. Wirkliche Kritiker gebe es kaum, auch die hannoversche Landeskirche und der Kirchenkreis Münden waren mit dem Konzept einverstanden. »Schon jetzt werden die Leute ganz leise, wenn sie sich hier umsehen«, berichtet der Eigentümer. Eine gewisse Ehrfurcht herrsche noch immer.

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