Nichts ist beständiger als Veränderung

Auf Streifzug mit einem Ranger im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 5 Min.
Seit 20 Jahren gibt es den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Mit dem Ranger Friedemann Bartz wird ein Streifzug zum fesselnden Erlebnis.
Friedemann Bartz kann über alles Geschichten erzählen, auch über die Feuersteine.
Friedemann Bartz kann über alles Geschichten erzählen, auch über die Feuersteine.

Friedemann Bartz ist ein glücklicher Mensch. Denn fast immer darf er das tun, was er am liebsten hat: Draußen sein. In Wald und Flur. Bei Wind und Wetter. Bewaffnet mit Rucksack und Fernglas zieht er wie ein Uhrwerk seine Runden – Tag für Tag, Woche für Woche, sommers wie winters.

Bartz ist Ranger im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. 1990 als eines von drei schützenswerten Gebieten in Mecklenburg-Vorpommern aus der Taufe gehoben; heute nach Besucherzahlen der beliebteste Nationalpark in Deutschland. 805 Quadratkilometer Ostsee und Boddengewässer, die Darß, Zingst sowie die Insel Hiddensee umschließen und 371 Kilometer Küste mit Stränden und Dünen, mit Windwatten und Sandhaken, mit Nehrungen, Kliffs und Salzwiesen.

Bartz' Revier ist Prerow auf dem Nord-Darß, einer der dynamischsten Küstenabschnitte der Ostsee. »Hier ist nichts so beständig wie die Veränderung«, begrüßt der gelernte Forstwirt seinen Trupp zur Halbtagestour und zeigt rüber zum Darßer Ort. Dort spült das Meer jedes Jahr bis zu zehn Meter Sand an, den Sturmwellen zuvor mit brachialer Gewalt vom Darßer Weststrand weggerissen haben. Ein rasanter Prozess: »Vor 300 Jahren noch stand das Wasser am Leuchtturm, inzwischen sind nördlich davon fast 2000 Meter Neuland gewachsen.«

Erster Halt: die Adlerplattform. Und wirklich: Gut einen Kilometer entfernt macht Bartz im Feldstecher vier Seeadler aus und ist darüber ganz aus dem Häuschen. Erfreut seine Begleiter sowohl mit Übergabe der Präzisionsoptik als auch mit allerlei Fakten. »Seeadler könnten, wenn sie könnten, ohne Weiteres aus 70 Meter Entfernung Zeitung lesen«, gibt er etwa zum Besten, »und damit meine ich nicht die Überschriften.«

Als kurz darauf ein pechschwarzer Vogel über unsere Köpfe schwingt, entlockt das dem Ranger einen fesselnden Kurzvortrag zum Thema Kolkraben und deren Intelligenz. Beispiel: »Wenn Seeadlereltern eine Bedrohung für ihre Brut wittern, vielleicht weil ihnen ein Mensch zu nahe kommt, dann heben sie sofort ab. Genau darauf wartet der gerissene Rabe und holt sich seine Mahlzeit.«

Womit Bartz bei seiner Hauptaufgabe angekommen ist: Die ihm anvertraute Natur gilt es zu schützen, Pflanzen und Tiere so ungestört wie möglich existieren zu lassen und Übergriffe des Menschen zu verhindern – so steht es in der Nationalparkverordnung. Eine Sisyphusarbeit: Immer wieder etwa hat er es zu tun mit Zeitgenossen, die sich angeblich verirrt haben, die Warntafeln ignorieren, über Zäune klettern, die Bohlenstege verlassen oder Hundeleinen für Nonsens halten.

Mitunter mit verheerenden Folgen. Aus Dummheit und Unkenntnis zertrampeln scheinbare analphabetische Sportsfreunde und entfesselte Hobbyfotografen die empfindliche Dünenvegetation, stören brütende Vögel oder bringen sie sogar in Lebensgefahr. »Nehmen wir mal den Sandregenpfeifer«, verdeutlicht Bartz das Problem. »Dieser Vogel baut kein Nest, sondern kratzt kleine Steinchen zusammen, auf die er seine Eier ablegt. Als Laie können Sie diese Gelege aber nicht vom Untergrund unterscheiden und latschen eventuell drauf – das war's dann.«

Obwohl ihn so schnell nichts aus seiner norddeutschen Ruhe bringt – in solch frevlerischen Fällen kennt Bartz kein Pardon. 35 Euro Verwarnungsgeld werden fällig. Als Sofortkasse oder per Überweisung. »Im Normalfall geht das problemlos ab, weil die meisten Leute doch ziemlich einsichtig sind.«

Viel lieber ist dem 58-Jährigen freilich, wenn er ausgiebig Teil zwei seiner Tätigkeit frönen kann – Besucher von »seinem« Nationalparkrevier zu begeistern. Dabei spielt es keine Rolle, ob Touristen kommen, Schüler, Studenten, Biologen oder Vogelkundler – vor Ort kann Bartz seinem Affen Zucker geben, und er tut es mit Inbrunst und Leidenschaft.

Ob er beschreibt, wie sich einzelne Sandkörner zu einer Primärdüne aufbauen; ob er den Strandhafer preist, der mit wäscheleinelangen Wurzeln im nährstoffarmen Quarzsand überlebt; ob er von der Schwarzen Krähenbeere schwärmt, in deren Schatten Kiefernsamen ein ideales Wachstums- Mikroklima vorfinden; ob er zeigt, wie Sand und Salz die Windflüchter so abschmirgeln, dass sie vor dem Westwind tatsächlich zu fliehen scheinen – was es auch ist, die Leute hängen an seinen Lippen.

Auf der nächsten hölzernen Kanzel sind es die Vögel, über die Bartz Erstaunliches zu berichten weiß. 130 Arten brüten im Nationalpark, die größten Populationen stellen Wasser- und Watvögel: Kormorane, Lappentaucher, Enten, Kraniche, Rallen, Stelzenläufer, Regenpfeifer, Schnepfen, Möwen, Seeschwalben. Bartz kennt sie alle, aber auch für den Fachmann sind manche nicht immer leicht zu identifizieren, »weil sie ständig ihre Kleidung wechseln – wie Frauen«.

Vier Stunden hält er so seine Begleiter auf Trab. Mit Geschichten und Sprüchen, mit Wurzeln und Federn, mit Donnerkeilen und Hühnergöttern malt er ein buntes Bild vom ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens in diesem einmaligen Lebensraum. Und obwohl er dabei nur einen Bruchteil seines Repertoires ausschöpft, sind die Festplatten in den Köpfen seiner Gäste irgendwann voll. Was er erreichen wollte, hat er jedenfalls mühelos geschafft: Mit geschärften Sinnen sehen alle seine Welt jetzt ein bisschen wie er selbst und ganz anders als zuvor.

Dass Leute wie er erheblich beitragen zur Popularität des Nationalparks, sieht er mit einem lachenden und einem weinenden Auge. »Natürlich ist es großartig, wenn viele Menschen dieses wundervolle Fleckchen Erde besuchen. Bei etwa einer halben Million Besuchern allein in diesem Revier sind wir aber auch an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Für die Natur und für uns Ranger.« Trotzdem: »Ranger ist und bleibt für mich der schönste Beruf auf der Welt.« Sagt Friedemann Bartz zum Abschied und verschwindet im Schilf. Für den Rest des Tages wird er auch ganz ohne Gruppe wieder ein glücklicher Mensch sein.

  • Infos: Nationalparkamt Vorpommersche Boddenlandschaft, Im Forst 5, 18375 Born, Tel.: (038234) 502-0, Fax -24, E-Mail: poststelle@npa-vp.mvnet.de, www.nationalpark-vorpommersche-boddenlandschaft.de oder
  • Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e. V., Platz der Freundschaft 1, 18059 Rostock, Tel.: (0381) 40 30-500, Fax: -555, E-Mail: info@auf-nach-mv.de, www.auf-nach-mv.de
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