Deutsch-russisches Wunder?

Altbundeskanzler Schröder empfiehlt EU-Assoziierung Russlands

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 3 Min.
»Von der Kapitulation zur Kooperation: Deutschland, Russland und Europa 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg« Das war das Motto einer Veranstaltung, mit der die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung des 8. Mai 1945 gedachte.

»Stargäste« des Abends waren Altbundeskanzler Gerhard Schröder und der Vorsitzende des russischen Föderationsrates Sergej Mironow, Chef der Partei Gerechtes Russland, die seit ihrer Gründung vor dreieinhalb Jahren enge Beziehungen zur deutschen Sozialdemokratie pflegt.

Mironows Anliegen war es vor allem, für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur zu sprechen, die Präsident Dmitri Medwedjew vor zwei Jahren in Berlin angeregt hatte. Vor Journalisten räumte er ein, dass das Echo auf diesen Vorschlag im Westen zunächst verhalten war, inzwischen aber registriere er zumindest Gesprächsinteresse. Auf die ND-Frage, was er denn jenen Politikern im Westen sage, die meinten, einen besseren Sicherheitsgaranten als die NATO könne es gar nicht geben, entgegnete der russische Politiker: Wenn die NATO den Zerfall Jugoslawiens und die Bombardierung einer europäischen Hauptstadt oder den Überfall Georgiens auf Südossetien verhindert hätte, könnte man sich dieser Meinung eventuell anschließen. Nur sei sie dazu nicht fähig gewesen. Also brauche man etwas Neues, ohne die Auflösung von NATO und OSZE zu fordern. Dieses Neue sei ein »Helsinki plus«, die völkerrechtliche Festschreibung des Grundsatzes der unteilbaren Sicherheit: Niemand dürfe danach streben, die eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit eines anderen Staates zu stärken. Bisher gebe es leider immer wieder solche Versuche.

Von den erwähnten »Defiziten« der NATO sprach Mironow am Abend, in Anwesenheit Gerhard Schröders und des früheren Verteidigungsministers Peter Struck, nicht mehr. Aber seine Forderung nach gleicher Sicherheit für alle, nach Abkehr vom Denken des Kalten Krieges im Verhältnis zu Russland wiederholte er.

Und darin kam ihm Gerhard Schröder durchaus entgegen. Der Altbundeskanzler sprach sich dafür aus, Russland durch eine Assoziierung mit der EU enger an die europäischen Strukturen zu binden. Eine volle EU-Mitgliedschaft sei mittelfristig nicht zu erwarten, das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, über das derzeit verhandelt wird, reiche jedoch nicht aus. Eine echte Assoziierung, die Handelsliberalisierung, vereinfachte Visaregelungen, aber auch engere Kooperation in der Sicherheitspolitik einschließt, wäre nicht nur für die Modernisierung Russlands bedeutsam, sondern auch für die EU. Die könne ihre globale politische und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, indem sie strategisch wichtige Nachbarstaaten enger an sich bindet.

Natürlich müsse man in solchem Falle die Sicherheitsinteressen und folglich die Interessensphären Russlands akzeptieren, was bedeute, dass es keinen NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens geben könne.

Mehrfach war an diesem Abend von dem »Wunder« die Rede, dass sich Russen und Deutsche, die sich im blutigsten Krieg der Menschheitsgeschichte gegenüberstanden, heute so freundschaftlich begegnen. Mit keinem anderen westlichen Land unterhalte Russland so enge Beziehungen wie mit Deutschland. Die Stirnwand des Saals schmückte ein großes Bild von einer Begegnung Willy Brandts und Walter Scheels mit Leonid Breshnew und Nikolai Kossygin.

Es war Nikolai Schmeljow, Direktor des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, der anmerkte: Er wisse zwar, dass er vor einem sozialdemokratischen Forum spreche, müsse aber doch daran erinnern, dass auch die DDR »gewisse Verdienste« an dieser Aussöhnung habe: Sie habe über Jahrzehnte durch die Pflege guter Beziehungen zur Sowjetunion dazu beigetragen, dass Russen wieder Vertrauen zu Deutschen fassen konnten.

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