Die dritte Dimension

Banken stehen im Verdacht, vor der Staatsrettung Gewinne ins Ausland verschoben zu haben

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 5 Min.
Schwerer Vorwurf gegen deutsche Banken: Diese sollen Zweckgesellschaften in Steueroasen gegründet haben, um leichter den Fiskus zu hintergehen.

Bis die Finanzmärkte zusammenbrachen, gehörte die Hypo Real Estate Holding, kurz HRE, zu den mächtigsten deutschen Banken. Kurz zuvor war sie in den Deutschen Aktienindex (DAX) aufgestiegen, dem der erlesene Kreis der großen Konzerne angehört. Doch das Platzen der Immobilienblase in den USA und die folgende globale Finanzkrise trafen in der Bundesrepublik vor allem die HRE.

Eigentlich war die Immobilienbank aus München schon bei ihrer Gründung 2003 eine Art »Bad Bank« gewesen. Ihr Mutterkonzern HypoVereinsbank hatte deutsche Schrottimmobilien und wackelige US-Hypotheken in die neue Gesellschaft verschoben sowie deren Anteile an der Börse verscherbelt. Damit schlugen die Münchner zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie entledigten sich günstig milliardenschwerer, aber riskanter Immobiliengeschäfte und sie hübschten die eigene Bilanz auf.

Politikern in Berlin war der Brandherd durchaus bekannt. Das erste Krisentreffen fand an einem Sonntag im Februar 2003 statt: Acht Spitzenmanager der Finanzindustrie und drei Kabinettsmitglieder eilten ins Bundeswirtschaftsministerium, um die gefährliche Lage zu erörtern: HRE und andere deutsche Großbanken sollten in ihren Büchern faule Kredite von bis zu 100 Milliarden Euro haben. Gastgeber der Runde war SPD-Kanzler Gerhard Schröder.

Als vier Jahre später die tickende Zeitbombe tatsächlich hochzugehen begann, wurde in Berlin alle Schuld den Amerikanern in die Schuhe geschoben. Wie ein Naturereignis habe die US-Krise zugeschlagen. Die Legende, wonach sich allein amerikanische Investmentbanken mit riskanten Immobiliendeals verzockt haben, stimmt aber nicht.

Für die HRE sprang bald der Staat ein: Der Immobilien- und Staatsfinanzierer wurde durch ein dreistelliges Milliardenpaket des Bundes gerettet, an dem sich auch andere Banken beteiligten, und letztlich verstaatlicht. Die Details durchleuchtete später ein Untersuchungsausschuss im Bundestag.

Jetzt tauchen neue Verdachtsmomente auf: So soll die HRE den Staat vor der Pleite über den Tisch gezogen haben. Nach Informationen, die dem ND vorliegen, könnte die HRE im Inland Scheinverluste ausgewiesen haben, um Gewinne in Steuerparadiese zu verschieben.

Baufinanzierungen waren früher ein nahezu intimes Zweiergeschäft zwischen einer Bank und einem Hausbesitzer. Die Gewinne aus dem Hypothekendarlehen musste die Bank versteuern. In den 1990er Jahren fingen Kreditinstitute jedoch an, Immobilienkredite in großen Paketen zu bündeln und die Anteile daran als Wertpapiere weiter zu verkaufen. Um diese »Asset Backed Securities« (ABS) auf den internationalen Finanzmärkten möglichst ungestört von der staatlichen Finanzaufsicht abzustoßen, wurden sogenannte Zweckgesellschaften in ausländischen Steueroasen gegründet. Schattenbanken ohne Büroräume und ohne Personal sorgten lediglich dafür, dass Gewinne weitgehend steuerfrei eingestrichen wurden.

Doch Banken erschlossen sich noch eine dritte Dimension und schleusten durch Scheinverkäufe zusätzlich Milliarden am deutschen Fiskus vorbei. Das behauptet zumindest der Ökonom Werner Müller, Professor an der Fachhochschule Mainz. Auch das Hamburger Institut für Finanzdienstleistungen (IFF) hält diesen Verdacht für plausibel. Danach könnte der Kreditverkauf von Banken über das Ausland auch dazu gedient haben, »künstliche Verluste zu generieren, um Steuern zu sparen«, so IFF-Chef Udo Reifner.

Anfällig für »künstliche Verluste« sind besonders notleidende Immobilienkredite, bei denen die Schuldner die vereinbarten Raten nicht mehr zahlen. Der »Wert« solcher Kredite lässt sich nur schätzen, womit der Manipulation Tür und Tor geöffnet wird. Auch solche Kredite wurden in der letzten Dekade von Banken häufig in milliardenschweren Paketen gebündelt und als Wertpapiere verscherbelt. Dabei könnten auch deutsche ABS-Papiere über Zweckgesellschaften ins Ausland verkauft worden sein. Die sich daraus ergebenden (Schein-)Verluste hätten die Steuerlast der Bank verringert. Dies war der erste Streich.

Der zweite folgt sogleich: Der Preis für solche ABS-Papiere soll in manchen Fällen nur etwa 20 Prozent des Nennwertes betragen haben. Ein Dumpingpreis, denn selbst wenn die Sicherheiten »verwertet« werden müssen, erzielt man in der Baufinanzierung normalerweise bis zu 80 Prozent. Durch die große Kluft zwischen Preis und Marktwert könnten in Zweckgesellschaften in ausländischen Steueroasen enorme Gewinne entstehen. Und dort greift sie die deutsche Bank wieder ab. »Man muss davon ausgehen, dass die Zweckgesellschaft in der Steueroase von der verkaufenden Bank gesteuert wird«, erklärt Werner Müller, Experte für Rechnungswesen. Denn warum sonst, so fragt der Experte rhetorisch, sollte eine Bank einfach auf 60 Prozentpunkte ihrer Ansprüche verzichten und sie anderen überlassen?

Müller berichtet von einem Fall, in dem die Hypo Real Estate notleidende Immobilienkredite an eine Zweckgesellschaft in Hamburg verkauft haben soll. Von dort sollen die ABS-Papiere an eine von der HRE kontrollierte Zweckgesellschaft etwa in Gibraltar oder auf den britischen Kanalinseln verkauft worden sein, und von dort könnten sie mit erheblichem Gewinn weiter verscherbelt worden sein – nahezu steuerfrei. »Mit dieser Konstruktion«, sagt Professor Müller, »könnte die HRE Gewinne in eine Steueroase verschoben haben und sich ihre überhöhten deutschen Verluste sogar vom Steuerzahler ausgleichen lassen.«

Die HRE wehrt sich gegen die Beschuldigung. Zwar sei 2005, wie von Müller behauptet, ein Paket aus notleidenden Krediten an einen Hamburger Finanzinvestor veräußert worden, doch »eventuelle Gewinne oder Verluste aus dieser Transaktion wurden in Deutschland verbucht und versteuert«. Wie der Finanzinvestor das erworbene Kreditportfolio weiter verwendet habe, sei nicht bekannt. Es sei jedenfalls nicht bei einer von der HRE kontrollierten Zweckgesellschaft gelandet.

Das mag man glauben oder nicht. Augenscheinlich betrifft das Dementi nur den Einzelfall. Eine generelle Absage, jemals Gewinne in Steueroasen auf Kosten des deutschen Steuerzahlers verschoben zu haben, will das Institut nicht geben.

Ohnehin geht es nicht allein um die HRE. Mit im Boot sitzen laut Müllers Recherchen beispielsweise die im September 2008 Pleite gegangene US-Investmentbank Lehman Brothers und die genossenschaftliche DG Bank. Mehrere Raiffeisenbanken haben demnach für einen vermutet äußerst niedrigen Preis unter 20 Prozent der Darlehenssumme ein Kreditpaket an eine Gesellschaft in Großbritannien veräußert. Die Banken halten dies für einen fairen Preis, Kritiker hingegen für einen Dumpingpreis. Hamburger Anwälte haben einen solchen Deal dokumentiert und ein Schreiben an den Finanzausschuss des Bundestages verfasst.

Bilanzexperte Müller vermutet Betrug auf Kosten der Anleger und Betrug auf Kosten des Steuerzahlers. Bankenkrise und Bankenrettung könnten nochmals zu einem Fall für einen Untersuchungsausschuss im Bundestag werden.

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