Graz häppchenweise

Ein kulinarischer Stadtspaziergang durch Österreichs Genuss-Hauptstadt

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 5 Min.
Als Graz 2003 europäische Kulturhauptstadt war, warb die Stadt mit dem Slogan: »Graz ist anders. Graz darf alles.« Daran hält man sich dort bis heute. Vor zwei Jahren startete Graz ganz ungeniert einen massiven Angriff auf Waschbrettbauch und Modelfigur. Und niemand hat je versucht, sein Veto einzulegen. Ganz im Gegenteil, Einheimische wie Besucher lassen sich willig verführen. Graz ist eben anders. Graz darf eben alles.
Das Bermudadreieck in der Altstadt ist ein beliebter kulinarischer Treffpunkt für alle Generationen.
Das Bermudadreieck in der Altstadt ist ein beliebter kulinarischer Treffpunkt für alle Generationen.

Geschlemmt wurde im Vaterland des Kürbiskernöls schon immer, aber seit der steirischen Landeshauptstadt 2008 vom heutigen österreichischen Vizekanzler Josef Pröll der Titel Genuss-Hauptstadt verliehen wurde, sprudeln die Ideen, wie man Graz mit allen Sinnen entdecken kann, förmlich über. Da gibt es alljährlich im Juni ein Gourmetfestival, bei dem die internationale Crème de la Crème der Köche Gourmets aus aller Welt selig macht, und Hotels packen ihren Gästen Körbe voll mit steirischen Spezialitäten fürs Picknick. Ein Wiesenplätzchen findet sich für jeden, schließlich sind 60 Prozent der Stadtfläche Grünanlagen. Beste Gelegenheit, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen, haben Touristen auf zahlreichen Bauernmärkten in der Stadt, wo die regionalen Produkte taufrisch angeboten werden. Graz, deren Bewohner ganz offensichtlich schon als Feinschmecker geboren werden, hat übrigens mit 800 die meisten Bauern aller österreichischen Gemeinden. So gesehen ist die Stadt – mit rund 250 000 Einwohnern immerhin die zweitgrößte des Landes – gewissermaßen das größte Dorf Österreichs.

Das merkt man spätestens auf einem kulinarischen Stadtspaziergang, bei dem hinter jeder Ecke die Versuchung lauert.

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Wir beginnen ihn am rechten Murufer in der »Vinofaktur«, einem Laden voller regionaler Köstlichkeiten, mit steirischen Tapas und einem Gläschen Welschriesling aus der Südsteiermark. Nur ein paar Schritte entfernt vom »friendly Alien«, der dem Stadtteil rechts des Flusses nach langem Dornröschenschlaf endlich wieder Leben einhauchte. Der »freundliche Außerirdische«, das futuristisch daherkommende Kunsthaus der britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier mit seinen »Saugnäpfen« auf dem Dach, das im Kulturhauptstadtjahr an die Fassade des Eisernen Hauses, eines der frühesten Gusseisenkonstruktion Europas aus dem Jahr 1848, andockte, ist längst Anziehungspunkt für Einheimische und Besucher und ein Wahrzeichen der Stadt.

Wie auch die Insel in der Mur, die genau wie das Kunsthaus anfangs große Proteste in der Bevölkerung hervorrief. Zu modern, zu protzig, zu unansehnlich hieß es. Heute ist die vom New Yorker Starkünstler Vito Acconci designte Brücke, die wie eine riesige aufgebrochene Muschel daherkommt, nicht nur eine Touristenattraktion, sondern auch einer der beliebtesten Fußwege, um von einem Teil der Stadt in den anderen zu gelangen. Im Muschelinneren lässt's sich gut verweilen – die Alten trinken Kaffee, die Jungen toben auf dem Abenteuerspielplatz, und das Amphitheater ist Ort für Konzerte und Kuschelplatz für Verliebte.

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Uns allerdings zieht's hoch auf den Schlossberg. Nicht nur wegen des Wahrzeichens Numero Eins, den Uhrturm aus dem 16. Jahrhundert. Auch in kulinarischer Mission. Denn 123 Meter über der Altstadt lockt ein kulinarisches Schwergewicht: Brotscheiben mit »Verhackertem« (durch den Wolf gedrehten kräftig geräucherten Speck), dick belegt mit fein geschnittenem Schweinsbraten und obendrauf reichlich Kren, wie man in Österreich den Meerrettich nennt. Trotz tränenverschleiertem Blick genießen wir Kalorienbombe und Ausblick auf die Stadt gleichermaßen. Und dazu schlürfen wir Schilchersekt, eine Spezialität, die es nur in der Steiermark gibt: Auf dein Wohl, du schöne Stadt!

Haben wir hinauf noch die bequeme Variante, den gläsernen Lift durch den Berg gewählt, und lockt hinunter noch so sehr die historische Standseilbahn aus dem Jahr 1891, so entscheiden wir uns doch für die 260 Treppenstufen des Bergsteigs, den Soldaten und russischen Kriegsgefangene im ersten Weltkrieg erbauten. Auch wenn wir ganz genau wissen, dass die wenigen Kalorien, die wir so vielleicht mehr verbrennen, letztlich nichts bewirken. Denn unten in der Altstadt locken bereits die nächsten Kostproben.

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Der Weg führt uns über den Hauptplatz, auf dem in den letzten Jahren die bunt zusammengewürfelten Würstl-, Obst- oder Souvenirbuden leider durch gesichtslose Designerklötze ersetzt wurden, zur Herrengasse. Hier im Landhaus, dem zwischen 1527 und 1531 erbauten ersten Renaissancegebäude der Stadt mit seinen luftig leicht erscheinenden Arkaden, tagt nicht nur der steirische Landtag. Der Innenhof dient als Ort für Konzerte, Feiern und prachtvolle Bälle, und der »Landhauskeller« mit seinen steirischen und österreichischen Schmankerln gilt als kulinarisches Wahrzeichen der Stadt. Die Rindfleischgerichte hier sind sensationell, und wer erfahren will, wie man sie richtig zubereitet, sollte sich in der Kulinarischen Akademie des Hauses einschreiben.

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Vielleicht ja beim nächsten Grazbesuch, heute lassen wir uns bedienen. Haben wir bislang nur hier und da genascht, jetzt, wo der Abend sich über die Stadt legt, lassen wir uns zum ausgiebigen Tafeln im »Stainzerbauer« in der Bürgergasse nieder. Da im Umland der Spargel wächst, setzt er zusammen mit Kalbsfilet und einem leichten, spritzigen Weißburgunder den i-Punkt auf unseren kulinarischen Stadtspaziergang.

Auf dem Heimweg queren wir das »Bermudadreieck«, in dem die Terrassenplätze zahlreicher Gasthäuser zwischen Glockenspiel-, Mehl- und Färberplatz in der warmen Jahreszeit zum schönsten Freiluftrestaurant der Stadt verschmelzen. Auch spät in der Nacht wird hier noch fröhlich getafelt, doch wir bekommen beim besten Willen kein Häppchen mehr runter.

  • Infos: Graz Tourismus, Herrengasse 16, 8010 Graz, Tel.: (+43 316) 8075-0, Fax: -15, E-Mail: info@graztourismus.at, www.graztourismus.at, www.genusshauptstadt.at
  • Die 3,5-stündigen kulinarischen Stadtrundgänge finden von Mai bis November immer samstags und sonntags statt. Beginn 11 Uhr, Preis 39 Euro mit Drei-Gang-Menü sowie Getränken, Anmeldung bei Graztourismus.
  • Am 28. August wird beim »Fest der Genusshauptstadt« in der Innenstadt eine Tafel für 500 Gäste festlich gedeckt.
  • Bei Graztourismus kann man Genusswochenenden mit zwei Übernachtungen in einem Hotel der Wahl buchen.
  • Vom 1. bis 5. Juni findet das Graz GourmetReisefestival 2010 statt, bei dem elf internationale Starköche aus drei Kontinenten kochen werden, Vorbestellungen unter www.gourmetreisefestival.at
  • Seit dem 1. Mai fliegt Air Berlin täglich außer dienstags und donnerstags ab Berlin-Tegel nonstop nach Graz, www.airberlin.com
Wie ein gestrandetes Raumschiff Außerirdischer liegt das Kunsthaus mitten in der Stadt.
Wie ein gestrandetes Raumschiff Außerirdischer liegt das Kunsthaus mitten in der Stadt.
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