Holland in Not

Was von der viel beworbenen Expo 2000 in Hannover nach zehn Jahren übrig geblieben ist

  • Sigrun Stock, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Frankreich behielt den Eiffelturm, Belgien das Atomium. Was behielt Deutschland? Zehn Jahre nach der ersten Weltausstellung hierzulande bringt ein Rundgang über das Expo-Gelände in Hannover etliche Überraschungen. Ein echtes Wahrzeichen sucht man aber vergeblich.

Hannover. Holland rottet vor sich hin. Vor zehn Jahren blühten hier noch Tulpen, ein paar Etagen höher drehten sich die Windräder. Der 40 Meter hohe Turm, den die Niederlande zur Expo 2000 in Hannover bauten, war mit seinen gestapelten Landschaften einer der Publikumsrenner bei der ersten Weltausstellung auf deutschem Boden.

Heute ist Holland in Not. Mit einem Metallzaun abgesperrt, baufällig. »Ein Trauerspiel«, findet Wolfgang Schneider, Präsident der niedersächsischen Architektenkammer. Studenten sind über den Zaun hoch auf den Turm geklettert. Es ist zugig oben, doch von dort bietet sich der beste Überblick über das, was geblieben ist von der Expo.

»Nachhaltigkeit« war der Leitgedanke – ein sperriger und damals neuer Begriff. Zum ersten Mal war eine Expo keine pure Leistungsschau der Nationen. Im Mittelpunkt stand das gemeinsame Nachdenken darüber, dass die Ressourcen auf der Erde nicht unendlich sind – und dass alles Handeln Konsequenzen für die nächsten Generationen hat. Für die Schau selber sollte das heißen: Wenn die Party zu Ende ist, muss aufgeräumt werden, damit das benutzte Fleckchen Erde weiter bewohnbar ist.

Doch was tun nach den fünf Monaten Expo mit all den tollen Gebäuden, mit der Seilbahn, den orientalischen Palästen? Viele Länder bauten ihre Pavillons ab und daheim wieder auf, Portugal etwa oder Irland. »60 Prozent der Expo fand auf dem Messe-Gelände statt, da ist die Nachnutzung der Gebäude garantiert«, sagt Hannovers damaliger Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg. Insgesamt soll es laut offiziellen Zahlen eine Nachnutzungsquote von 85 Prozent geben.

Heute wirkt das Expo-Gelände im Osten wie ein durchschnittliches Gewerbegebiet. Klar gibt es Sahnehäubchen, Finnland mit seinem Birkenwald etwa ist super in Schuss, dort residiert eine Design- und Messebaufirma. In Belgien hat Mousse T. ein Tonstudio eingerichtet, in dem die Größen der Branche ihre Songs aufnehmen. »Es geht langsam voran. Aber es geht voran«, sagt der Musiker.

Autohaus und Möbelläden

Der Pavillon der Franzosen beherbergt ein Autohaus, auch Möbelläden gibt es, doch auch viele Wechsel in den vergangenen Jahren sowie Rechtsstreits um einzelne Gebäude. Im großen Wal im Süden befindet sich ein christliches Zentrum. Im Deutschen Pavillon finden hin und wieder Veranstaltungen statt, in die ehemaligen Expo-Verwaltungsgebäude ist die Fachhochschule eingezogen. 2000 junge Leute studieren hier und bringen Leben auf das Gelände. Auch ein kleines Expo-Museum gibt es, wo Ehrenamtliche arbeiten. »Wenn wir nicht mehr wären, würde das Expo-Erbe wohl kaum noch so gepflegt«, sagt dort Eckhard Wähler.

Vor zehn Jahren waren die Ansprüche der Macher der Weltausstellung groß. Doch es gelang ihnen am Anfang nicht, die Schau zu vermarkten und die Expo als nationale Veranstaltung ins deutsche Bewusstsein zu bringen. In der öffentlichen Wahrnehmung dominierte die Debatte über niedrige Besucherzahlen und hohe Eintritts-Preise. »Es wurde völlig unterschätzt, dass ein Event dieses Typs in einem Land, in dem es zuvor noch nie eine Weltausstellung gegeben hatte, kein Selbstläufer ist. Die Expo war im Gegensatz zur Fußball-WM erklärungsbedürftig und emotional im breiten Publikum nicht verankert«, sagt Arno Brandt von der NORD/LB, der die Nachwirkungen der Expo untersuchte.

Die Fixierung auf das Ziel, keine Schulden zu hinterlassen, war ein Kardinalfehler. »Am Ende mehr als kontraproduktiv«, resümiert Ökonom Brandt. Es blieben 1,1 Milliarden Euro Schulden für den Steuerzahler, die noch immer nicht getilgt sind. Expo-Chefin Birgit Breuel (72) stand wegen der Kosten-Debatte wochenlang im Kreuzfeuer der Kritik. Heute möchte sie öffentlich nicht mehr Stellung nehmen, selbst zum offiziellen Festakt am 1. Juni kommt sie wohl nicht.

Litauens Kasten vernagelt

Wie misst sich der Erfolg einer Weltausstellung? »Nicht zuletzt an der Zufriedenheit der Gäste«, betont Rainer Ertel vom Institut für Wirtschaftsforschung in Hannover, der ebenfalls die Expo-Folgen untersuchte. Die aktuelle Weltausstellung, die im Mai in Schanghai öffnete, kämpft inzwischen übrigens mit ganz ähnlichen Problemen.

Langfristig profitiert haben von der Expo 2000 vor allem Hannover und das Umland. Die Touristenzahlen steigen stetig, Airport und Nahverkehr wurden ausgebaut, das Image der Stadt ist bunter.

Dennoch, ein Rundgang über das ExpoGelände zehn Jahre danach deprimiert. Die Türkei steht leer, Litauens gelber Guckkasten ist vernagelt, Polen beherbergte ein asiatisches Restaurant, das vor Jahren ausbrannte. Oben auf dem Dach von Holland träumt man weiter, mal von einer Shrimpszucht, zuletzt sollten im Pavillon Holzpellets zum Heizen hergestellt werden. »Ich mach mir da keine Sorgen. Das Gelände ist das Filetstück von Hannover«, sagt Nachbar Mousse T.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal