»Der Westen verursacht Fluchtgründe«

Flüchtlingsorganisation The VOICE veranstaltet ein Kulturfestival gegen neokoloniale Verhältnisse

  • Lesedauer: 3 Min.
Mike Adebayo, 48, lebt in Bremen und ist seit 12 Jahren Mitglied von The VOICE Refugee Forum. Er kam 1998 als Asylbewerber aus Nigeria nach Deutschland. Adebayo gehört zu den Organisatoren des Karawane-Festivals, das vom 4. bis 6. Juni in Jena stattfindet. Mit ihm sprach Christian Jakob.
»Der Westen verursacht Fluchtgründe«

ND: Herr Adebayo, seit Jahren protestiert Ihre Organisation gegen die Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Deutschland. Nun veranstalten sie am kommenden Wochenende in Jena ein Kulturfestival. Wieso?
Adebayo: Seit vielen Jahren haben wir so viel geredet und demonstriert, um auf die Situation in den Flüchtlingsunterkünften, auf Abschiebungen oder die Residenzpflicht aufmerksam zu machen. Nun wollen wir es auf eine andere Weise probieren.

Auf welche denn?
Es ist ein Festival, mit dem wir die Kultur unseres Widerstandes feiern und der Opfer der Festung Europa gedenken. Mit einer afrikanischen Maskenparade werden die Flüchtlinge, die an den Außengrenzen der EU starben, symbolisch Einzug in die Stadt halten. Künstler werden diesen Toten ein Mahnmal errichten. Über 100 Musiker, Filmemacher, Bildhauer, DJs und andere Künstler werden kommen, um mit uns und mit ihrer Arbeit gegen die neokolonialen Zustände protestieren, die die Ursache für die Lage der Flüchtlinge sind.

Was hat der Kolonialismus mit Asylpolitik zu tun?
Unser Kampf stand seit jeher unter dem Motto »Wir sind hier, weil Ihr unsere Länder zerstört.« Die Probleme in unseren Heimatländern werden hier verursacht, in Europa und den USA.

Warum?
In den 50er und 60er Jahren haben die meisten afrikanischen Länder ihre Unabhängigkeit erkämpft. Es gab so etwas wie ein neues afrikanisches Selbstbewusstsein, wir wollten einen neuen Anfang. Aber dieser Anfang wurde uns geraubt. Die westlichen Länder ließen nicht los.

Was hat der Westen getan, um das zu behindern?
Er unterstützt Diktatoren, manchmal setzt er sie sogar selbst ein. Die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank diktierten den verschuldeten Ländern lange Zeit ihre Politik. Westliche Konzerne dominieren die Wirtschaft unserer Länder, der Westen bestimmt die Preise für die Agrargüter, die Afrika exportiert. Deshalb gibt es bis heute keine ökonomische und nur bedingt politische Unabhängigkeit. Darunter leiden die Bemühungen um Fortschritte und Entwicklung.

Der Westen unterstützt Afrika immerhin mit knapp 20 Milliarden Dollar im Jahr.
Mit diesem Geld wird nach Afrika hineinregiert. Wenn es zwischen zwei europäischen Ländern Probleme gibt, wird miteinander geredet. Bei uns ist das anders. Sie glauben, dass sie uns vorschreiben können, was wir tun sollen. Tun wir dies nicht, werden wir mit der Entwicklungshilfe erpresst. Das ist es, was wir Neokolonialismus nennen.

Und der soll die Ursache für die Fluchtbewegungen sein?
Natürlich. Wegen dieser Politik gibt es Putsche, Streiks, Demos, Menschenrechtsverletzungen und Bürgerkriege. Das verursacht politische und wirtschaftliche Flüchtlinge. Viele der bei The VOICE Organisierten sind gut ausgebildete Akademiker, die in ihren Ländern als Aktivisten gekämpft haben. Europa reagiert darauf mit Abschottung und deshalb sterben viele Menschen auf dem Weg hierher. Und wer es trotzdem schafft, muss mit rassistischer Ausgrenzung klarkommen: Leben in Lagern, Residenzpflicht, Abschiebehaft, in der immer wieder Flüchtlinge Selbstmord begehen oder ein Leben als Geduldeter, ohne jede Perspektive. Ihnen widmen wir das Festival.

Seit einem Jahr rufen antirassistische Organisationen dazu auf, nach Jena zu kommen. Was versprechen Sie sich von dem Ereignis?
Wir hoffen, dass unser Kampf eine stärkere Dynamik bekommt als je zuvor.

Nun kommen Flüchtlinge nicht nur aus Afrika. Geht es bei dem Festival auch um andere Länder?
Natürlich. Die Maskenparade ist eine afrikanische Tradition, aber im gesamten Programm geht es auch um Regionen wie den Mittleren Osten oder Asien.

Fragen: Christian Jakob

www.karawane-festival.org

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