Comeback eines Helden

Henning Mankell verabschiedet sich endgültig von Kurt Wallander

  • Alice Werner
  • Lesedauer: 4 Min.

Zehn Jahre ist es her, dass Krimiautor Henning Mankell in einem Akt schriftstellerischer Grausamkeit einen Schlussstrich zog und seinen melancholischen Ermittler Kurt Wallander seinem Schicksal überließ. Dennoch hofften Krimifans in aller Welt auf ein Comeback des schwedischen Kriminalkommissars. Jetzt ist es tatsächlich soweit: Kurt Wallander ist zurück. »Es hat lange gedauert«, sagt Tatjana Michaelis, Mankells Lektorin in Deutschland, »bis er dem Drängen seiner Leser nachgegeben hat.« Dass Wallander noch einmal die Bühne von Recht und Unrecht betritt, verdankt er aber in erster Linie der Unzufriedenheit seines Autors. Ihm sei eines Tages aufgefallen, sagt Mankell gegenüber der Presse, dass er keine Geschichte über Wallander selbst geschrieben habe. »Wer ist dieser Mann eigentlich? Auf diese Frage gab es für mich keine befriedigende Antwort. Also beschloss ich, doch noch ein Buch zu schreiben.«

»Der Feind im Schatten« beginnt mit einer brisanten politischen Affäre: Im Oktober 1982 geht bei der Marine in Stockholm ein Alarmruf ein. Die Küstenwache hat unbekannte U-Boote in schwedischen Hoheitsgewässern gesichtet. Korvettenkapitän Håkan von Enke ist überzeugt, dass russische Schiffe die militärische Sperrzone durchbrochen haben. Als führender Offizier der schwedischen Seeverteidigung beschliesst er, die fremden U-Boote mit Unterwasserbomben an die Oberfläche zu zwingen. Vier Minuten vor dem Einsatz erhält er von oberster Stelle den Befehl, das Manöver abzubrechen. Von Enke wittert eine politische Verschwörung und beginnt auf eigene Faust zu recherchieren. Jahre später glaubt er seinen Verdacht auf Spionage und Landesverrat bestätigt. Doch bevor er mit seinen Beweisen an die Öffentlichkeit gehen kann, ist er plötzlich verschwunden. Louise von Enke, seine Frau, bittet Kommissar Wallander verzweifelt um Hilfe.

»Wallander und ich sind ein Jahrgang«, erzählt Henning Mankell in einem Presseinterview. »Wenn ich also etwas über seine Persönlichkeit schreiben wollte, musste ich ein Thema finden, das zugleich die Ära umreisst, die uns geprägt hat. Für unsere Generation ist diese Zeit vom Kalten Krieg bestimmt.« Anders als sein Schöpfer, dem soziales Engagement und Solidarität zum Lebensthema wurden, ist Kurt Wallander kein politischer Mensch. »Aber für einmal wollte ich ihn zwingen, sich mit seiner eigenen Zeit auseinander zu setzen.« Und so taucht Wallander in seinem letzten Fall tief ein in Schwedens Nachkriegsgeschichte. Dass dabei auch wenig ruhmvolle Aspekte der Vergangenheit hochgespült werden ist ganz im Sinne des Autors: »Ich wollte daran erinnern, dass Schweden eng verbunden ist mit dem, was in Deutschland vor sich ging. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Nazis, die nach Schweden flohen, nach dem Zusammenbruch der DDR ehemalige Stasi-Leute.«

Auch was sein Privatleben angeht, lässt Henning Mankell seinem eigenwilligen Kriminalermittler nicht mehr jede Ignoranz durchgehen. Bis dato stets ein Meister im Verdrängen häuslicher Probleme, beginnt Wallander jetzt seine Biografie zu hinterfragen. Wenn man die sechzig einmal überschritten habe, so Mankell, sind die wichtigsten Entscheidungen des Lebens gefallen. Was sein Held erlebe, sei der ganz normale Prozess des Älterwerdens. Und so ist »Der Feind im Schatten« nicht nur ein spannender, hochdramatischer Krimi, sondern auch eine bewegende Rückschau von Autor und Hauptdarsteller auf ihre gemeinsame Zeit in Ystad – jener historischen Stadt im schwedischen Schonen, von der aus Wallander zwanzig Jahre lang auf Verbrecherjagd ging.

Zwanzig Jahre! Vielen Lesern wird der endgültige Abschied von Kurt Wallander schwer fallen. Wie muss es da erst dem Autor ergehen? »Mankell ist ein vielseitiger Schriftsteller«, betont Lektorin Tatjana Michaelis. »Momentan arbeitet er an einem Theaterstück über den britischen Biologen Charles Darwin. Er hat sich nie auf die Wallander-Romane allein festlegen lassen und konnte daher ohne Bedauern einen Schlusspunkt setzen.« So geht eine der weltweit erfolgreichsten Kriminalreihen ganz unsentimental zu Ende: »Die Jahre, die Kurt Wallander noch zu leben hat«, schreibt Henning Mankell auf den letzten Seiten, »vielleicht zehn, vielleicht mehr, sind seine eigene Zeit.« Lassen wir also diesen so liebenswerten wie verschrobenen Polizeikommissar seinen wohlverdienten Ruhestand genießen.

Henning Mankell: Der Feind im Schatten. Roman. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien. 592 S., €geb., 26 €.

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