Solisten machen Kassen Sorgen

Arzneimittelreport der Barmer/GEK sieht Sparpotenzial bei teuren Mitteln

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 2 Min.
Neue Arzneimittel gegen Rheuma, Krebs oder Multiple Sklerose treiben die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente enorm in die Höhe. Das ergaben Berechnungen der Barmer / GEK, die gestern in Berlin vorgestellt wurden.

Das Medikament Glivec mit dem Wirkstoff Imatinib hilft Patienten mit einer bestimmten Art von Blutkrebs, der Chronischen Myeloischen Leukämie. Es hemmt ein Enzym, das zu einer übermäßigen Teilung von Krebszellen führt und kann so die Krankheit ohne Knochenmarktransplantation bekämpfen. Nach fünfjähriger Einnahme sind zahlreiche Patienten fast krebszellenfrei. So weit, so erfreulich. Doch die Therapie hat ihren Preis. 40 000 bis 60 000 Euro kostet sie im Jahr, je nach Dosierung.

»Wie kommt der Preis zustande?« So fragte der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske von der Universität Bremen bei der Vorstellung des Barmer / GEK-Arzneimittel-

reports auf der Basis der Daten von 8,5 Millionen Versicherten aus dem vergangenen Jahr. In Großbritannien verlange der Hersteller Novartis für 30 Tabletten 1800, in Deutschland 2800 Euro. Aber Deutschland könne gut darauf verzichten, Referenzland für die europäische Preisbildung zu sein, ergänzt der stellvertretende Bar- mer / GEK-Vorstand Rolf-Ulrich Schlenker. Er fordert eine vernünftige Arzneimittelpreisbildung.

Während der Arzneimittel-Report für 2009 einen durchschnittlichen Ausgabenzuwachs bei Arzneikosten um sechs Prozent feststellt, verursachen einige Solisten unter den Arzneimitteln Kostensteigerungen von 20 bis 25 Prozent in einem Jahr. An der Spitze stehen zwei innovative Rheumamittel – beiden wird ein echter therapeutischer Fortschritt zugeschrieben – , gefolgt von ebenfalls als nutzbringend eingestuften Präparaten gegen Multiple Sklerose und Krebs.

Unter die umsatzstärksten Mittel fallen allerdings auch Präparate, über deren Zusatznutzen im Vergleich zu anderen Mitteln bei den Wissenschaftlern Zweifel bestehen. Dazu zählen das Neuroleptikum Seroquel oder Lyrica, ein Mittel gegen Epilepsie. Für Seroquel existiere ein vergleichbares, kostengünstigeres Präparat mit weniger unerwünschten Nebenwirkungen, Lyrica habe keine eindeutig belegten Vorteile. Für beide gab die Kasse 2009 25 Prozent mehr aus.

Gerd Glaeske sieht als Ursache die vom Hersteller festgelegten Preise und fordert eine Kassenzulassung neuer Mittel auf Zeit – zumal Experten 40 Prozent der als innovativ bezeichneten Mittel für überflüssig halten. Nach einem herstellerunabhängigen Prüfverfahren sollte die nachträgliche Kosten-Nutzen-Bewertung zur Pflicht werden. Bestätige sich der Nutzen, könne der Preis bleiben. Sei dies nicht der Fall, könne man ihn wieder absenken und den überbezahlten Betrag an die Krankenkassen zurückerstatten. Doch so ein Verfahren sieht das vom Bundesgesundheitsminister auf den Weg gebrachte Arzneimittelneuordnungsgesetz nicht vor.


Solisten

Als Solisten bezeichnet die Arzneimittelbranche Spezialpräparate, zu denen es keine kostengünstige Alternative gibt. Dazu gehören beispielsweise Immuntherapeutika oder Präparate gegen Krebs wie Glivec. Die Ausgaben dafür wachsen dramatisch. Sie machen ein Viertel der Gesamtkosten aus, entsprechen aber lediglich 2,5 Prozent der Verordnungen. Die Preise können frei vom Hersteller festgelegt werden. ott

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