Kistenschleppen statt Prozess

In Rheinland-Pfalz werden relativ viele Verfahren mit einem Täter-Opfer-Ausgleich beendet

  • Imke Hendrich, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Die alte Dame konnte sich nicht wehren, zu schnell wurde ihr die Tasche entrissen. Der Täter wurde gefasst. Man einigte sich darauf, dass er der Seniorin eine Woche lang beim Einkaufen hilft. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist inzwischen gängiges Verfahren.

Mainz. Manchmal geht es nur um eine Entschuldigung. Aber auch Schmerzensgeld für das Opfer oder Schadenersatz für den beklauten Supermarkt können auf diesem Weg »ausgehandelt« werden – bei mehr als eintausend Verfahren im Jahr kommt es in Rheinland-Pfalz zu einem Täter-Opfer-Ausgleich.

Mit dieser gütlichen Einigung kommen Opfer schneller zu ihrem Recht, oft können langwierige Prozesse vermieden werden oder Richter können eine solche Wiedergutmachung auch als strafmildernd werten. »Mit einem Täter-Opfer-Ausgleich wird dem Täter viel klarer gemacht, was er an Schaden, an Demütigung verursacht«, betont Justizminister Heinz Georg Bamberger (SPD). Auch der Leitende Mainzer Oberstaatsanwalt Klaus-Peter Mieth sagt: »Mit Einvernehmen erreiche ich mehr als mit der Keule.« Außerdem stünden so die Interessen der Opfer stärker im Vordergrund. »Früher waren sie immer nur Objekt in einem Gerichtsverfahren.«

Beweislage muss klar sein

2009 gab es in mindestens 3251 Verfahren im Land den Versuch einer Schlichtung auf dem Weg eines Täter-Opfer-Ausgleichs, rund die Hälfte konnte erfolgreich abgeschlossen werden. Die Erhebung ist noch nicht vollständig. »Nach bisherigen Zahlen kamen so 367 438 Euro an Entschädigungszahlungen für die Opfer zusammen«, erklärt Bamberger. Im Jahr 2008 gab es knapp 4000 Verfahren, in denen eine Schlichtung angestrebt wurde. »Theoretisch kann ein solches Verfahren bei allen Delikten infrage kommen«, sagt Bamberger. Aber: Die Beweislage muss klar und unstrittig sein. Daher gibt es eine solche Wiedergutmachung vor allem bei Diebstählen, leichten Körperverletzungen oder auch Beleidigungen. »Je gravierender die Tat, desto schwieriger ist dieser Weg.«

Angeregt werden kann diese Schlichtung von den Staatsanwaltschaften, den Anwälten, aber auch während eines Gerichtsverfahrens von der Kammer. Was aber steht am Ende dieses Ausgleichs? »Es ist alles möglich, zu dem Täter und Opfer bereit sind«, so Bamberger. Denkbar wäre, dass ein Dieb, der einer älteren Frau 3000 Euro geklaut hat, nicht nur diesen Betrag ersetzt, sondern daneben der Rentnerin ein halbes Jahr beim Einkaufen hilft. Manchmal ist es aber auch nur eine einfache Entschuldigung, wie Mieth ergänzt. Grundsätzlich steigt die Akzeptanz für diese Schlichtungsmöglichkeit. Ist denn nun aber auch das Rückfallrisiko bei einem Straftäter, der als Ausgleich etwa Kisten schleppt oder Reparaturen ausführt, geringer? Statistiken gibt es nicht, aber Bamberger nimmt dies schon wegen des erzieherischen Effekts an.

Eine Frage der Genugtuung

Grundsätzlich sind Opfer viel schneller zu einem solchen Gespräch bereit als Täter. Am Tisch sitzen dabei beide Parteien mit einem ausgebildeten Konfliktschlichter, oft Bewährungshelfer oder Gerichtshelfer.

»Im Mittelpunkt des Gesprächs stehen die Aufarbeitung der Tat und deren Folgen für das Opfer«, erläutert Bamberger. Nach seinen Worten geht es auch um eine Stärkung der Rolle des Opfers. »In Prozessen tritt es meist nur als Zeuge auf, höchstens als Nebenkläger, im Täter-Opfer-Ausgleich erfährt es direkte Wiedergutmachung und Genugtuung.«

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