Inszenierte Spontanität

Sarah Liebigt über (politische) Flashmobs

  • Lesedauer: 2 Min.

Als Flashmobs aufkamen, waren sie zunächst vorwiegend belustigende Kurzaktionen ohne konkrete Aussage: Oben-ohne-Kaufaktionen in Kleidungsgeschäften, plötzliche Massenkäufe eines bestimmten Produktes in einem bestimmten Supermarkt oder von Menschen verstopfte Gänge in Einkaufszentren. Spätestens seit den riesigen Tanz-Flashmobs zum Gedenken an den King of Pop im vergangenen Jahr ist die Bekanntheit solcher Aktionen über Online-Portale hinaus geschwappt. Aus scheinbar ziellos umherwandernden Menschen wird plötzlich eine homogene Gruppe, die einer identischen Choreografie folgt, sei es Tanz, T-Shirtkauf oder die kurze Blockade eines Gebäudes. Nach ein paar Minuten zerstreut sich die Menge wieder, als sei nichts gewesen.

Die kurzen Aktionen eigenen sich jedoch auch bestens für politischen Protest und werden daher zunehmend für solchen genutzt: Zum Fußball-Flashmob gegen Daimler trafen sich am vergangenen Sonntag in Berlin bis zu 80 Menschen, um auf die Verwicklung Mercedes' in das Apartheidregime in Südafrika aufmerksam zu machen. Gar ein blutiger Flashmob ist geplant, um gegen den Ausbau der A 100 zu protestieren.

Die scheinbare Spontanität der Flashmobs trügt, ob man nun Kritik äußern oder seiner Liebsten einen Heiratsantrag machen will: Der Aufruf muss verbreitet werden und nie ist klar, wie viele ihm Folge leisten werden. Auch wenn Flashmobs in der Regel journalistisch schwer zu fassen sind, ist der Redakteur da gespannt, wie viele Autobahngegner sich, blutigen Ahnungen folgend, am Sonntag auf die Kreuzung setzen werden.

Vielleicht hätte der Grundschullehrer, der ein eigenes Raucherzimmer erklagen wollte, auch zum Nikotin-Flashmob aufrufen sollen – der Fantasie sind schließlich keine Grenzen gesetzt.

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