Sie wussten, was sie taten

Bestien oder Befehlsempfängerinnen? - Tagung in Berlin

  • Nino Ketschagmadse
  • Lesedauer: 3 Min.
Rothaarige, grünäugige Messalina des KZs« wurde sie genannt. Eine »mannstolle, perverse, besessene Frau« sei sie gewesen, die aus »tätowierten Männerhäuten Lampenschirme« fertigen ließ. Ilse Koch, Gattin des Kommandanten von Buchenwald, wurde nach dem Krieg zum Inbegriff der KZ-Aufseherinnen: eine Bestie. Neben ihren Untaten schienen die anderer Täterinnen zu verblassen, so dass diese straffrei ausgingen. Zwischen Dämonisierung und Verharmlosung ist ein weites Feld. Dieses zu untersuchen, sowohl in angesehenen literarischen Werken wie auch in der medialen Berichterstattung, haben sich Wissenschaftler aus verschiedenen bundesdeutschen Forschungsinstituten in den vergangenen Jahren vorgenommen. Ihre Ergebnisse stellten sie vergangenes Wochenende in Berlin vor. Das Institut für Geschichte der Darmstädter Technischen Universität, die Heinrich-Böll-Stiftung und das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin veranstalteten eine Tagung zum Thema »NS-Prozesse und ihre öffentliche Resonanz aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive«. Der Forschungsbedarf ist selbst 57 Jahre nach Kriegsende kaum gedeckt, geschweige denn die strafrechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen abgeschlossen. Wenngleich Rechtsexperten zufolge viele Fälle auf Grund des hohen Alters der Verdächtigten nicht mehr vor Gericht landen werden, so waren doch noch Anfang 2001 bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Ludwigsburg knapp 20 Vorermittlungsverfahren in Bearbeitung. Seit dem 8. Mai 1945 wurden von der westdeutschen Justiz knapp 104000 Ermittlungs- und Vorermittlungsverfahren eingeleitet, von denen lediglich rund sechs Prozent rechtskräftig verurteilt wurden. Zwei Drittel aller Verurteilten kommen auf die Jahre 1945-49. Edgar Wolfrum von der TU Darmstadt, bemängelt, dass die Gerichtsurteile fast den Schluss nahe legten, es hätte »nur einen einzigen Täter und sechzig Millionen Gehilfen gegeben«. Vor allem Frauen, so der einhellige Tenor der Tagung, wurden selten zur Verantwortung gezogen. Insbesondere weil sie den damaligen Spruchkammern offensichtlich von vornherein eher als Opfer der männerdominierten Politik im »Nationalsozialismus« galten. So wurden Frauen, anders als die angeklagten Männer, die sich zumeist vergeblich auf ihre vermeintlich notwendige Befehlstreue beriefen, von den Gerichten selbst »nach der Freiwilligkeit ihrer Arbeit« gefragt. Die wenig überraschende, weil bekanntlich strafmildernde Antwort, die »Damen« seien »dienstverpflichtet gewesen«, hätten »nichts dagegen tun« können. Selbst KZ-Wärterinnen, die etwa im Ravensbrück-Prozess bei der ersten Vernehmung angeben hatten, wegen besserem Lohn, Verpflegung und Unterkunft sich für die Arbeit im berüchtigten Nebenlager von Siemens entscheiden zu haben, blieben straffrei. Referentin Kathrin Meyer aus Berlin, die seit Jahren über Spruchkammerentscheidungen gegen Frauen in Entnazifizierungsverfahren und die damals herrschende öffentliche Meinung forscht, bemerkte, dass die deutsche Bevölkerung seinerzeit gar gern eine Generalamnestie für Frauen gesehen hätte. Sätze von den »unschuldigen jungen Mädchen« waren an der Tagesordnung, über »unsere Frauen und Mütter hinter Stacheldraht« herrschte Unverständnis. Diejenigen Frauen, die letztlich doch wegen Denunziation und Euthanasie oder ausgeübter Gewalt verurteilt wurden, galten wie Ilse Koch als weibliche »Bestien«, als Ausnahmen von der Regel, die dem »weiblichen Muster« nicht gerecht wurden. Explizit stellten etwa die Richter im Hamburger Ravensbrück-Prozess, bei dem von sieben Angeklagten weiblichen Tätern Fünf zur Tode verurteilt wurden, fest, dass sie sich nicht »wie Frauen verhalten« hätten. Und auch die Zeitungen, so Referentin Anette Kretzer, die sich eingehend mit Ravensbrück beschäftigt haben, titelten etwa bei der Verurteilung der SS-Kommandoführerin Irma Grese, dass sie den abgebrühtesten (männlichen) SS-Verbrechern in nichts nachstand. Von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit weiblichen Täterprofilen sei man, so das Fazit der dreitägigen Veranstaltung, aber auch heute noch weit entfernt.

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