Mysterienspiel

Altiplano - von Peter Brosens und Jessica Woodworth

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 4 Min.

Diese Stille muss man erstmal aushalten. Stumm flankieren die Messdiener den Altar, stumm heben sie metallene Masken vors Gesicht, eine strahlende Sonne der eine, eine Mondsichel der andere. Auch die umstehenden Männer tragen Masken, schweigend verharren sie im Kreis. Dann stimmt eine junge Frau mit anbetend erhobenen Händen einen Gesang an, der mehr Ton ist als Melodie, hinter ihr die Gemeinde versammelt im Kirchenschiff, still, stumm der göttlichen Dinge harrend im Schein vieler Kerzen. Gefühlte Ewigkeiten später ertönt Musik, die Prozession setzt sich in Bewegung, der Bürgermeister mit rotgoldener Schärpe voran, hinaus in die strahlende Taghelle vor dem Portal.

Draußen vor der Kirche aber tritt just in dem Moment, in dem die Prozession auf der Schwelle erscheint, zur Freude der Kinder Quecksilber in handtellergroßen Pfützen aus dem Boden – ein silbrigglänzendes flüssiges Wunder, dass die rituelle Andacht zerschellen lässt und die Madonnenfigur auf den Schultern der jungen Männer gleich mit. Und was in Stille begann, endet in Chorgesang vom Band und tonlos schreiendem Entsetzen vor den Scherben der Madonna. Kein gutes Omen, und so wird es bleiben.

Dann folgt der Titel: »Altiplano«. Und nach dem Titel eine andere, unheilvolle Szenerie. Eine Frau in rauchender Ruinenlandschaft, das Messer eines Vermummten an der Kehle, einem Jungen gegenüber, ein Dritter mit Pistole nebenbei. Ein Foto wolle er, schreit der auf jemanden ein, und man denkt: er meint den Jungen. Der fotografieren soll, wie der Vermummte der zitternden Gefangenen die Kehle durchschneidet. Mitnichten. Denn den Fotoapparat hält die Frau. Und es ist der Junge, den man nur von hinten sah, der wenig später tot am Boden liegt.

Ein Foto, das ihr eine Nominierung zum Pulitzer-Preis eintragen wird. Davon erfährt man eine Szene später, nun sitzt sie, feiernd, mit Mann, Schwester und Familie in einer europäischen Kirchenruine, die Schwester zitiert Sinnsprüche ihres persischen Vaters (»Das Leben ist nichts als Märchen und Wind«), und man gratuliert der Fotografin zu der Ehre. Sie aber möchte das Foto zurückziehen, das ihren irakischen Mitarbeiter das Leben kostete. Und aufhören mit dem Fotografieren, das die Wirklichkeit erst schafft, die es dokumentieren sollte.

Peter Brosens und Jessica Hope Woodworth drehten ihren ersten gemeinsamen Film vor drei Jahren in der Mongolei. »Khadak« mischte echte Folklore und inszenierte Symbolik, die realen Probleme der zwangsweisen Versesshaftung und die übertragene Ebene, die wohlstandsbürgerliche Filmemacher darin finden wollten. Auch ihr zweiter Film bemüht die Exotikschiene, die karge Schönheit der Hochandenlandschaft, die Lamaherden und Quechua-Laute, mit denen Magaly Solier, Hauptdarstellerin des Goldenen Bären-Films »Eine Perle Ewigkeit«, das Berlinale-Galapublikum bewegte, als sie spontan zu einem Lied in dieser – bisher – eher seltenen Filmsprache anhob. Hier verkörpert sie die Frau mit den erhobenen Händen in der Kirche.

Bei ihrem nächsten Auftritt ist sie Braut – und trägt einen Flakon des silbernen Wunders bei sich, an dessen Folgen ihre Mutter schon zusammenbricht: Quecksilbervergiftung. Bald ist das ganze Dorf ein blindes Siechenhaus. Statt von Mond, Sternen und Madonna ist nun viel vom Berggeist die Rede. Und bald stehen die Männer der Gegend erneut im stummen Halbkreis herum, mit Augenbinden vor der Klinik posierend, in der in einer internationalen Medizinergruppe auch der Mann der Fotografin arbeitet, die in Irak die Hinrichtung ihres Dolmetschers fotografierte.

Die Fotografin wird von Jasmin Tabatabai gespielt, und weil ihr Mann (Dardennes-Darsteller Olivier Gourmet) ein paar Videobotschaften später einem Stein aus der Hand der Indio-Braut erliegt, geworfen gegen die Weißen, die den Tod in ihr Dorf brachten, kommen die beiden Frauen, die beiden ihrerseits schuldig gewordenen Opfer von US-Invasionen, irgendwann (beinahe) zusammen. Da aber hat der Film sich längst in Richtung Galeriekunst verabschiedet, mit maskenbewehrten Berggeist-Erscheinungen, die den Tod des Bräutigams der Braut begleiten, mit Kameraeinstellungen, die gern erstmal die Hälfte der Wahrheit verschweigen, und einem Würfelspiel um die Seele der verwitweten Braut, die das Quecksilber trank, zwischen Figuren aus Himmel und Hölle, zwischen Männern mit Flügeln und Männern in Teufelsmasken.

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