Einwürfe, Fußnoten

Fußball-WM (13)

  • Lesedauer: 3 Min.

ER TANZT auf zahlreichen Hochzeiten, er besetzt gleichsam viele Spielfelder. In meiner Stammkneipe zum Beispiel heißt er: Schweinshaxe mit zweierlei Knödeln. Woanders sind's die Rumpsteaks, die sich um den Titel streiten. In den Repertoires der Stadttheater steht er meist für Ibsens »Nora« und Tschechows »Onkel Wanja« und Shakespeares »Macbeth«. In der Oper könnte es »Figaros Hochzeit« sein. Im Fernsehen geriet er zur puren Inflation, aber gegen »Diner For One« kommt wenig anderes an, keine Talkshow-Schnipsel, kein Harald Juhnke und nicht mal Diether Krebs. In manchen kleinen Kinos mit besonderem Spielplan kommt er übrigens auch noch vor, hier mögen die Namen Fellini, Truffaut und Hitchcock genügen oder Titel wie »Casablanca« und »Der Hexer« und »Apocalypse Now«.

Natürlich sind sofort andere Regisseurs-Namen und andere Filme möglich, woraus bereits ersichtlich wird, dass er, um den es hier geht, eine höchst persönliche, geschmacks- und gemütsabhängige Sache ist. Der betreffende Name fällt sehr ausgesucht, er gilt für Witze, Weine, Weihnachtsessen, aber längst kam Ahnung auf, er sei letzten Endes nur ein Ausdruck für Willkür, Austauschbarkeit und Vermassung. Er soll für etwas Einzigartiges stehen, tarnt aber bloß eine fatale Beliebigkeit und Denkarmut. Er ist ein armes Luder, verbraucht, missbraucht, ein abgehetzter Jedermann im Definitionszirkus. Im fortwährenden Beschuss durch Reize soll er der Extravaganz die Ehre retten. Aber er ist unrettbar verloren an diejenigen, die die Welt auf einen einzigen gängigen Begriff bringen wollen und dabei immer genügend Masse finden, die genau das so haben möchten. Er ist der Sklave der öden Vereinfacher, und dabei hat er einen so erhaben anmutenden Namen. Marx soll ja auch unter die Rubrik gefallen sein, die hier zur Debatte steht, und die Kennung geriet zur grassierenden Praxis, ihn nicht mehr zu lesen, sondern nur noch zu zitieren.

Des Rätsels längst erahnte Lösung: Es geht hier um den sogenannten, arg strapazierten Klassiker. Gestern spielte Deutschland gegen England, natürlich: ein Klassiker. Eine Weile dachte man, einzig Goethe sei der große wahre Klassiker. Goethe ist vergessen. Aber für Spannung und Torquote der WM wäre es freilich gut, wieder verstärkt an ihn zu erinnern: Bevor er nämlich Klassiker wurde, war er Stürmer und Dränger.
Hans-Dieter Schütt

SÜDKOREAS KEEPER Jung Sung-Ryong wehrte einen Ball Uruguays nur unentschlossen ab, der kam an die Füße von Suarez, und es stand 1:0 für die Südamerikaner. Jung verletzte sich dann einen Finger, ein gegnerischer Schuh hatte ihn unglücklich getroffen, der Torwart spielte aber weiter. Jung klagte in der Halbzeitpause über unerwartete Rückenschmerzen, ging aber wieder auf den Rasen. Jung hatte vor dem Spiel enttäuscht gesagt, die südkoreanische Presse behandle ihn auf eine ihm unverständliche Weise ungerecht. Jung war übrigens im Training ein Ball ins Gesicht geflogen, er bekam Nasenknochenschmerzen. Jung schied mit seiner Elf im Achtelfinale aus. Jung liefen deshalb Tränen übers Gesicht. Jung hatte in der vergangenen Saison insgesamt acht verschiedene Verletzungen zu kurieren gehabt. Jung sah man am Sonnabend an, dass er in verschiedener Hinsicht, seelisch wie körperlich, am Ende war. Jung sagte – zu allem Überfluss nach dem Spiel gegen Uruguay zum Interview gebeten und noch immer unfassbar traurig – dann lediglich einen einzigen Satz: in Mikrofon und Kamera »Fußball ist wunderbar.« Ist das nicht wunderbar?
Anika Stralau

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