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Lou Reed: Nicht gemein sein

Ein frühes Lied gegen Donald Trump von Lou Reed

US-Rock-Sänger Lou Reed bei einem Konzert in der Zitadelle Spandau in Berlin
US-Rock-Sänger Lou Reed bei einem Konzert in der Zitadelle Spandau in Berlin

Bevor Lou Reed mit The Velvet Underground berühmt wurde, studierte er Anfang der 60er Jahre Englisch an der Universität von Syracuse im Bundesstaat New York. Dort unterrichte der Dichter Delmore Schwartz Kreatives Schreiben. Für Reed war er der »klügste, lustigste und traurigste Mensch«, den er je getroffen hatte. Schwartz wurde sein Lehrer und Freund, auch wenn er nicht mehr in der besten Verfassung war. Ausgezehrt von Alkohol, Pillen und psychischen Krisen starb er 1966, als die Velvets bekannt wurden, weil sie auf den legendären Mulitmedia-Partys von Andy Warhol spielten.

Für Lou Reed begann eine wilde Zeit. Er war der Sänger, Gitarrist und Komponist einer Band, die kaum Platten verkaufte, von der es aber später hieß, sie sei eine der wichtigsten Bands überhaupt gewesen. Er erklärte, sie würden dasselbe machen wie die Literaten William S. Burroughs, Hubert Selby, Allen Ginsberg und Raymond Chandler – »nur mit Gitarre und Schlagzeug«. Nach dem Ende der Velvets reagierte die Musikpresse auf Reeds Soloplatten zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

Mit seinem zweiten Album »Transformer«, produziert von David Bowie, landete er 1972 einen genialen Wurf, die Lieder werden heute immer noch gespielt (»Walk on the Wild Side«, »Perfect Day«, Satellite of Love«). Mit den Platten, die er danach aufnahm, galt er bestenfalls als ein Held des Bad Taste, während sich sein Lebensstil dem des späten Delmore Schwartz anglich. Doch dann erschien 1982 zur allgemeinen Überraschung das Album »Blue Mask«, dessen Cover aussah wie ein Negativ von »Transformer«. Eingespielt mit einer kleinen, feinen Band, war dies ein Meisterwerk von einem Künstler, der sich gegen die Selbstzerstörung entschieden hatte: Musik als Rock-’n’-Roll-Literatur über Angst, Alkohol, Gewalt, Neurosen und Delmore Schwartz.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich in New York der Bau des »Trump Towers« in der Endphase. Mit seinen 204 Metern Höhe war es das erste megalomane Projekt des späteren Präsidenten und wurde 1983 eingeweiht. Bis dahin war Donald Trump hauptsächlich über seine schillernde erste Ehefrau Ivana Trump in die Schlagzeilen gelangt, er selbst war zu langweilig, auch wenn er stets das Gegenteil behauptete. Demgegenüber stellt Reed auf »Blue Mask« fest: »Ich bin ein Durchschnittstyp, der versucht, auf dem Boden zu bleiben.«

Beide waren New Yorker, Reed war damals 39, drei Jahre älter als Trump, der künftig alles Mögliche veranstaltete, um wenigstens aus seinem Namen eine Marke zu machen: Wrestling-Shows, Miss-Wahlen, Reality-TV und so weiter. Dass er irgendwann einmal Präsident werden wollte, war eigentlich auch nur ein Marketing-Gag.

Auf »Blue Mask« gibt es einen Song, in dem Reed davon träumt, der Präsident der USA zu sein: »Ich träumte, ich würde Ignoranz, Dummheit und Hass beenden (…) Ich träumte, ich wäre unbestechlich und fair zu jedermann. Ich träumte, ich wäre nicht grob und gemein oder kriminell.« Vor allem aber träumt er davon, er könnte den Tag vergessen, an dem John Kennedy starb. Egal, was man von ihm politisch hielt, dessen Ermordung am 21. November 1963 wurde das nationale Trauma der USA, wie später 9/11. Ältere US-Amerikaner fragten einander: »Wo warst du, als Kennedy starb?«

In dem Lied »The day John Kennedy died« schildert Reed, wie er diesen Tag erlebt hat: In einer Bar, es lief Football im TV, und dann wurde der Bildschirm schwarz und ein Sprecher sagte, dass unbestätigten Meldungen zufolge auf den Präsidenten geschossen wurde – »es könnte sein, dass er stirbt oder schon tot ist«. Dann redete keiner mehr in der Bar, und Lou Reed rannte auf die Straße, »wo überall Leute stehen und darüber reden, / was sie im Fernsehen gesagt haben«.

Lou Reed singt das so traurig und zerbrechlich, dass man weinen möchte. Die erste Kurzgeschichte, die Delmore Schwartz 1938 veröffentlicht hatte, hieß »In Dreams Begin Responsibilities« – die Verantwortlichkeit beginnt in den Träumen. In »The day John Kennedy died« singt Reed: »Ich träumte, ich wäre jung und smart und es wäre keine Zeitverschwendung / ich träumte, das Leben und die Menschheit hätten einen Sinn.« Das ist das Antiprogramm zu Donald Trump, als Kassiber von 1982.

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