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Das freche Mädchen mit der Trommel

Charlotte Gainsbourg beim 44. Montreux Jazz Festival

  • Christoph Nitz, Montreux
  • Lesedauer: 3 Min.
Charlotte Gainsbourg
Charlotte Gainsbourg

Bevor überhaupt ein Ton erklungen war, begrüßte das Publikum am Sonntag Charlotte Gainsbourg in der Miles Davis Hall mit kräftigem Beifall. Die Schauspielerin und Musikerin ist derzeit erstmals auf Tournee und auch zum ersten Mal gastiert sie beim Jazzfestival. Für die Arrangements zeichnete Multiinstrumentalist Beck verantwortlich, der die meist düsteren Texte elektronisch einkleidete und zumeist ordentlich wie in der Garage krachen ließ. Sein musikalischer Begleiter Brian LeBarton agierte zurückhaltend im Konzert und wurde vorgestellt, als einer, »der nicht viel Französisch versteht«. Nicht zu vergessen die vielfältigen Percussioneinsätze, zeitweilig schien es, als habe sich jeder Musiker auf der Bühne mit Rasseln, Tamburinen oder zumindest einem Drumstick bewaffnet. Besonders Charlotte Gainsbourg gefiel sich in der Rolle des »frechen Mächen« (so der Titel eines ihrer Filme) und schlug die Trommel nicht zu knapp.

Nach einem lebensgefährlichen Unfall 2007 musste Gainsbourg eine Zwangspause einlegen. Danach entschied sie sich für die Hauptrolle im Horrorthriller »Antichrist« - für die sie mit der Goldenen Palme in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde. Spätestens mit diesem Film von Lars von Trier - bei dem sie »104 Minuten lang durch Blut und Sperma watet« so Kritiker Michael Schuh - und ihren vor allem in Frankreich erfolgreichen Platten »5:55« und »IRM« konnte sie saus den Schatten ihrer berühmten Eltern Serge Gainsbourg und Jane Birkin treten. Mit »Lemon Incest« 1984 - einer Neuaufnahme des elterlichen Hits »Je t’aime - moi non plus« und dem dazugehörigen Video, das sie angeregt mit ihrem Papa im Bett kuschelnd zeigte, stand wie beim Original ein Skandal ins Haus. Später folgte ein Album mit Kompositionen des Vaters, den sie auch bei ihrem Auftritt besonders erwähnt.

Wer sagt, dass alles zu einem guten Ende komme, fragt sie in »In the End«, andernorts ist sie unterwegs auf einer Reise »to the centre of the night« - nein fröhlich sind die Geschichten der Charlotte Gainsbourg wirklich nicht. Mit »IRM« verarbeitete sie die monatelangen Untersuchungen im Kernspintomographen, in einem Interview konnte sie dieser Erfahrung sogar positive Momente abgewinnen: »Jedes Mal, wenn ich in der Röhre lag, war ich total fasziniert von diesem Rhythmus. Er fliegt in alle Richtungen, klingt sehr chaotisch und furchterregend.« Aber »Heaven can wait« und die Hölle liegt schon zu lange zurück - auch in einem depressiven Mikrokosmos gibt es Licht neben dem vielen Schatten und Dunkel. Im Opener »Greenwich Mean Time« sind denn auch alle Buckligen gut drauf und singen: »We’re all fine, we fit together like worms on a line.« Geht doch, und im Zweifel kann man sich ja beim Löwenzahn (»Dandelion«) beschweren, »won’t you tell me, what to do.«

Durch die Zusammenarbeit mit Beck wandelte sich auch ihr Gesang - weg von den hauchzarten Klängen, die ihre Albumkollaboration mit Air - die übrigens zwei Tage zuvor auch in Montreux in der Miles Davis Hall auftraten - auszeichneten. Mut zu Monotonie und Sprechgesang und eine besonders in den Höhen eindrucksvolle und wandlungsfähige Stimme boten eine gelungene Performance. Entsprechend begeistert zeigte sich das Publikum und freute sich häufig schon bei den ersten Tönen über bekannte Titel. Besonders im Ohr hängen blieb die Interpretation von Dylans »Just like a woman«, das davon erzählt, »she loves like a woman, but she brakes like a little girl«. Passt irgendwie zu einem Mädchen, das auf die Trommel einschlägt - auch wenn das Mädchen bald 40 Jahre alt wird.

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