Aus eins mach drei

Im Druckzentrum der Kieler Nachrichten wurden Leiharbeiter nach Betriebsratswahl gefeuert

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Auseinandersetzung um das Druckzentrum der Kieler Nachrichten suchen die gekündigten Leiharbeiter nach Wegen, ihren Widerstand fortzusetzen. Ihre bisherige Arbeit erledigen nun gleich drei neue Personaldienstleistungs-Unternehmen.

Warum die »Kieler Nachrichten« (KN) so unerbittlich auf Sparkurs sind, ist eigentlich schwer zu sagen. Die Zeitung, die täglich 105 000 Exemplare verkauft, gehört mehrheitlich dem Verleger Christian Heinrich, der mit seinen schulterlangen weißen Haaren, seinem riesigen Schnauzbart und seiner schmalen Großvaterbrille viel eher an einen Literaturprofessor erinnert als an einen knallharten Unternehmer.

Liegt's an den Teilhabern? Im Jahr 2009 stieg der Springer-Verlag im Zuge einer Art Flurbereinigung auf dem Zeitungsmarkt aus seiner 24,9-Prozent-Beteiligung an den Kieler Nachrichten aus. Seitdem sitzt stattdessen der Regionalzeitungskonzern Madsack mit am Tisch, der auch die Mehrheit am dritten Gesellschafter hält. Madsack hat über das Geschäftsjahr 2009 noch nicht berichtet, sicher ist aber: Madsack ist hungrig und kommuniziert dies auch.

Dennoch schüttelt Heino Stüve den Kopf: »Ich verstehe diese Überreaktionen schon lange nicht mehr«, sagt der ver.di-Sekretär, der seit vielen Jahren hauptamtlich die Zeitungsszenerie im hohen Norden beobachtet.

Vor zehn Jahren hatte das Monopolblatt aus der Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein die Weiterverarbeitung der Zeitung an die Leiharbeitsfirma Tabel ausgelagert. Seitdem sei das Druckzentrum ein Labor für prekäre Beschäftigungsformen: sechs statt zwölf Euro die Stunde, Befristungen, Mini-Jobs, willkürliche Arbeitszuweisungen mit viel Leerlauf und enormen Verdichtungen, Sitzverbot, Streichung von Pinkelpausen, mangelnder Arbeitsschutz.

Am Ende wird es teurer

Das Lied davon zu singen hat Marcus Peyn jetzt erst mal eine Menge Zeit. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, einen Betriebsrat zu gründen, war er von den fast 400 Tabel-Zeitarbeitern im Frühjahr zu ihrem Vertreter gewählt worden. Die Plöner Linkspartei-Bundestagsabgeordnete und Landessprecherin Cornelia Möhring, die vor ihrem Einstieg in die Politik beruflich Betriebsräte beraten hat, war dabei behilflich.

Die Wahl konnte das Unternehmen nicht verhindern – dennoch ist Peyn nun, wie seine Kollegen, seit Monatsbeginn seinen Job los. Denn die KN kündigten Tabel, angeblich aus Kostengründen – was die Leiharbeitsfirma als betriebsbedingte Kündigung an die Mitarbeiter weitergab. Ein Gericht konnte keinen Zusammenhang zwischen den Kündigungen und der Betriebsratsinitiative nachweisen. Die Kündigungen gelten, trotz Protesten wie einer hundertköpfigen Kundgebung vor einer Woche. Immerhin konnte der Betriebsrat laut Stüve einen »handelsüblichen« Sozialplan durchsetzen. Die KN haben den Auftrag indessen neu vergeben – und von einem auf gleich drei Subunternehmen verteilt, so Stüve. Die Personaldienstleister Mahnsen, Stark und TMI teilen sich nach seinen Informationen die bisher von Tabel erledigten Aufgaben. Alle Arbeitsverträge seien zudem auf sechs Monate befristet, sagt Stüve: »Da fällt es natürlich noch schwerer, sich zu organisieren.«

Trotzdem wird die Arbeitsstunde für den Auftraggeber letztlich deutlich teurer: Die neuen Personaldienstleister, so kommunizieren die KN zumindest selbst, zahlten über sieben Euro in der Stunde. »Da hätte man doch auch gleich in Frieden mit dem Betriebsrat bei Tabel verhandeln können«, ärgert sich der Gewerkschaftssekretär. Möhring meint, es könne sich eine weitere Klage lohnen: auf verdeckten Betriebsübergang. Bei einem Erfolg müssten die Tabel-Leute theoretisch wieder eingestellt werden.

Ein böser Verdacht

Doch wie es weitergeht für die tapferen Leiharbeiter, ist unklar. Über eine »angenehme Begleiterscheinung« freut sich Gewerkschaftsveteran Stüve aber schon jetzt: Zumindest die örtliche ver.di-Gruppe haben die Tabel-Leute jetzt schon gründlich umgekrempelt. Lange war Richard Ernst Vorsitzender des zuständigen Fachbereichs 8, der Betriebsratschef der KN. Die Tabel-Leute sagen Ernst nach, er habe zu verantworten, dass ihre Betriebsrats-Anstrengungen so lange erfolglos waren: Informationen über die Beteiligten seien aus seinem Umfeld durchgesickert, hätten zu »präventiven« Kündigungen geführt.

Beweisen kann das niemand, doch in der lokalen Gewerkschaftsgruppe der Medienschaffenden, die über 1000 Mitglieder hat, schlug nach dem Eintritt dutzender Leiharbeiter die Stimmung um: Der im März neu gewählte fünfköpfige Vorstand besteht mit nur einer Ausnahme aus – nunmehr ehemaligen – Tabel-Beschäftigten. Einer von ihnen, Marcus Rohwer, ist der neue Fachgruppenchef. Er habe sich vorgenommen, »den Ortsverein mehr zu politisieren«, hat er nach seiner Wahl gesagt. Um Themen wie Mindestlohn, »Equal Pay« und prekäre Arbeit soll es dabei gehen. Dazu hat Rohwer nun vier Jahre Zeit. So lange dauert seine »Legislaturperiode«.

Umzukrempeln scheinen sich derweil auch die Verhältnisse in der Redaktion der KN, wo die Welt bisher weitgehend in Ordnung schien. Zumindest hat Verleger Christian Heinrich zum Juli Jürgen Heinemann neben sich als Geschäftsführer eingesetzt – der war früher Prokurist und ist derzeit zugleich Chefredakteur. Journalisten wissen, dass eine Fusion dieser beiden Funktionen für sie selbst meist nichts Gutes bedeutet.

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