Das Vorbild Dresden

Ein breites Bündnis will in Gera erstmals Europas größtes Nazifest blockieren

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Zum ersten Mal dürften die Neonazis bei ihrem am Wochenende nun schon zum achten Mal stattfindenen »Rock für Deutschland« in Gera nicht ungestört bleiben. Aus vielen Städten Deutschlands starten am Sonnabend in den frühen Morgenstunden Busse Richtung Thüringen, um hier die erfolgreichen Blockaden von Dresden zu wiederholen.

Gegen das für Sonnabend geplante Neonazi-Festival »Rock für Deutschland« in der ostthüringischen Stadt Gera hat sich in den letzten Monaten eine breite Widerstandsbewegung herausgebildet, die weit über die Region hinaus ein Echo findet. Unter dem Motto »The Party is over – Europas größtes Nazifest stoppen, blockieren, verhindern!« wollen Nazi-Gegner vom frühen Morgen an vor Ort Gesicht zeigen.

Der Protest gegen dieses Fest hatte in den vergangenen Jahren in Gera eher symbolischen Charakter. Ermuntert durch positive Erfahrungen in Dresden, Berlin, Jena oder Erfurt, wo durch eine spektrenübergreifende Mobilisierung Aufmärsche von Neonazis gestoppt werden konnten, hat sich nun auch in Gera zum ersten Mal ein viele gesellschaftliche Gruppen umfassendes Bündnis zusammengerauft, das das braune Festival aktiv verhindern will. Seine Stadt dürfe kein »Pilgerort von Nazis« werden, sagt Geras Oberbürgermeister Norbert Vornehm (SPD): »Wenn wir das tolerieren und unserem Unmut darüber keinen Ausdruck verleihen, werden Rechtsextreme sich weiter in ihrer Weltsicht bestärkt sehen.«

Von Antifa bis Tiefensee

Das maßgeblich von der NPD veranstaltete faschistische Spektakel zog im letzten Sommer über 4000 Neonazis auf Geras »Spielwiese«, wie die Grünanlage im Zentrum heißt. Es hat sich damit zum größten Nazi-Fest Europas entwickelt. In einem Lied der für Sonnabend angekündigten Nazi-Band »Frontalkraft« heißt es etwa: »Wir bekennen uns zu unserem Land, zu unserem Blut und unserer Art, auch zu dem, was vor 45 war.«

Antifaschisten haben für den 10. Juli zahlreiche ganztägige Kundgebungen und Aktionen in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsgeländes angemeldet. Aus vielen Städten wollen Unterstützer in Bussen anreisen. »Rechtsrockmusik ist ein wichtiges Mittel zur Verbreitung menschenverachtender Ideologie sowie zur Finanzierung von Nazistrukturen«, heißt es im Aufruf zu den Protesten, den inzwischen mehr als 600 Menschen unterzeichnet haben. Dazu gehören der Jenaer SPD-Oberbürgermeister Albrecht Schröter, die Thüringer Parteichefs der LINKEN und von Bündnis 90/Die Grünen, mehrere Landes- und Bundestagsabgeordnete, der frühere SPD-Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Gewerkschafts- und Kirchenvertreter sowie Sebastian Krumbiegel von der Pop-Gruppe »Die Prinzen« und Udo Lindenberg. »Das unterschreib ich – Power!«, meldete sich der Alt-Rocker aus Hamburg beim Aktionsbündnis.

Antifa-Gruppen wollen zudem schon am Vorabend vom Geraer Bahnhofsvorplatz zur Spielwiese demonstrieren.

Mehr rechte Vorfälle

Als Anmelder und Gastgeber des »Rock für Deutschland« gilt der Thüringer NPD-Funktionär Gordon Richter, Stadtratsmitglied in Gera. Allerdings rechnen Beobachter damit, dass die Veranstalter des Neonazi-Festivals heimlich einen anderen Ort ins Auge fassen könnten, an dem sie sich ungestört von Gegenprotesten wähnen.

Die Nazis versuchen, aus ganz Europa Gleichgesinnte zu einer Reise nach Gera zu animieren, wo auch der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt als Redner auftreten will. Sie wollen ihre Niederlage in Dresden im Februar wettmachen, wo sie wegen der massiven Proteste mit ihrem »Gedenkmarsch« nicht von der Stelle kamen.

Wenige Tage vor dem NPD-Konzert häufen sich in Gera Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund. So sind an der Trinitatiskirche Plakate für das Friedensgebet abgerissen und Aufkleber mit rechtsextremen Drohungen angebracht worden. Im Stadtzentrum wurden fünf »Stolpersteine« zum Gedenken an jüdische Opfer des Nationalsozialismus geschändet. Zudem hat es einen Anschlag auf den Briefkasten einer Beratungsinitiative für Opfer rechter Gewalt gegeben. Dass mutiges Engagement gegen die rechte Szene nicht ungefährlich ist, zeigen auch die regelmäßig wiederkehrenden rechten Schmierereien am Wohnhaus des OB Schröter in Jena sowie Anschläge auf linke Parteibüros.

Aber auch die Gegenwehr wächst in Thüringen. Proteste gegen Neonazis haben in den letzten Wochen bereits in anderen Teilen des Bundeslandes stattgefunden, so etwa in Kirchheim (Ilm-Kreis) und Heiligenstadt (Eichsfeld). In Kirchheim konnte dabei ein NPD-Landesparteitag in seinem Ablauf verzögert werden. In Heiligenstadt hat sich mit der Veranstaltung »Rock gegen Rechts im Dreiländereck Thüringen, Niedersachsen und Hessen« Mitte Juni erstmals ein regionaler »Verein für aktive Demokratie und Kultur« zu Wort gemeldet, der »Toleranz und Weltoffenheit« fördern will.

www.nazifeste-verhindern.de

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