Hinterbänkler im PISA-Test

Gegen die Bildungskrise reagiert die Regierung in Peru mit bildungspolitischen Schnellschüssen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 5 Min.
In Lateinamerika gibt es kaum eine Nation, die bildungspolitisch so schlecht aufgestellt ist wie Peru. Beim PISA-Test landete der Andenstaat vor Haiti auf dem vorletzten Platz und die Lehrer gelten als überaus schlecht ausgebildet. Doch trotz aller schlechten Noten tut sich die Regierung schwer damit gegenzusteuern.

An der Tafel in dem kleinen Seminarraum der »Casa de Panchita« ist ein mit Pfeilen versehener Kopf zu sehen. Am Ende eines jeden Pfeils ist ein englisches Wort zu sehen: hair, eyes, ears und neck. Die Lehrerin, eine junge Praktikantin aus den USA, spricht jedes Wort langsam aus und die Klasse wiederholt es im Chor. »Wir bieten jeden Sonntag Englischunterricht für junge Mädchen und Frauen an«, erklärt Bianca Figueroa lächelnd und schließt die Tür zum Seminarraum wieder.

»Zusätzliche Bildungsangebote sind wichtig, denn in Peru ist der Unterricht in aller Regel sehr mies. In den armen Stadtvierteln und auf dem Land oftmals noch schlechter als in den Zentren der Städte« klagt die agile Soziologin mit dem aschgrauen Bubikopf. Vor mehr als zehn Jahren hat sie gemeinsam mit der ehemaligen Hausangestellten Sofia Mauricio das Zentrum für Dienstmädchen und ihre Kinder gegründet, die Casa de Panchita. »Unser Ziel ist es, den Automatismus, dass die Kinder von Hausmädchen in die Fußstapfen ihrer Mütter treten, zu durchbrechen und das geht nur über Bildung«, so Figueroa.

Jeden Sonntag ist auch der letzte Winkel in dem rund fünfhundert Quadratmeter großen Haus im Zentrum von Lima besetzt, denn dann wird gelernt, gekocht, beraten und gelacht. Wie in einem Bienenkorb geht es dann zu, denn viele der jungen und älteren Hausmädchen bringen ihre Kinder mit, um ihnen eine Perspektive aus dem Kreislauf der Armut aufzuzeigen. Das ist überaus wichtig in einem Land, wo fast die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt. Zwar zeigen die jüngsten Zahlen der Regierung Erfolge bei der Armutsbekämpfung, doch bei den Investitionen in die Bildung hapert es. Unter der Regie von Präsident Alan García wurde die eine oder andere Schule gebaut, doch bei Investitionen in die Köpfe hält sich die Regierung zurück, so Cecilia Flores. Die studierte Psychologin arbeitet mit Kindern aus dem Armenviertel von Pamplona Alta, fördert den Schulbesuch und hilft bei den Hausaufgaben. »Das Niveau in diesen Schulen ist sehr niedrig«, so die 26-Jährige.

Das bestätigt auch der große Lehrertest, den die Regierung Anfang 2007 durchführte und der über 90 Prozent der Lehrer ein mangelhaft einbrachte. Daran hat sich auch drei Jahre später wenig geändert, kritisieren peruanische Bildungsexperten wie José Rivero. Der Fachmann, der dem ersten nationalen Bildungsrat angehörte, hält wenig von der Bildungspolitik der Regierung. Die betont zwar vollmundig, dass sie alles tue, um Peru vom Ende der PISA-Liste weg- zubekommen, doch die Maßnahmen scheinen wenig ausgereift. So hat die Regierung 292 550 Laptops für den Schulunterricht angeschafft und Präsident García hat sich auch gerne mit Pennälern vor dem Bildschirm ablichten lassen, aber es gibt kein pädagogisches Konzept für den Einsatz der Computer.

Mehr noch, so kritisiert José Rivero, die Lehrer hätten kaum eine Idee, wie sie die Laptops im Unterricht einsetzen können. Als bildungspolitischer Schnellschuss, der auf großes mediales Echo ziele, wertete ein anderer Experte, Arturo Miranda Blanco, das Programm. Für Blanco ist das zentrale Dilemma, das sich die Regierung die Bildung einfach nichts kosten lassen wolle. 3,1 Prozent des Bruttosozialprodukts gab die Regierung jüngsten OECD-Zahlen zufolge 2009 für Bildung aus und damit deutlich weniger als Länder wie Deutschland (4,8 Prozent) oder Dänemark (7 Prozent).

Die größte Herausforderung liegt demnach in der Ausbildung der rund 180 000 Lehrer, die in Peru unterrichten. Bis dato kann jeder und jede unterrichten, die oder der einen Universitätsabschluss vorzuweisen hat – Pädagogik spielt demnach keine große Rolle. »Darunter haben die Kinder aus marginalisierten Stadtvierteln und vom Land jedoch deutlich mehr zu leiden. Kinder, die spezielle Förderung benötigen, weil sie zweisprachig aufwachsen oder aus Familien kommen, wo die Eltern kaum lesen können, werden oft stigmatisiert«, erklärt Delia Juana Quispe.

Die 26-Jährige hat mit gerade sieben Jahren angefangen als Hausmädchen zu arbeiten und unterrichtet heute selbst junge Mädchen in der Casa de Panchita. Sie ist Webdesignerin und hat sich ihren Schulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg erkämpft. Dort ist das Niveau noch niedriger und der Weg aus der Armutsfalle noch schwieriger. »Einen langen Atem braucht man, und Delia ist ein leuchtendes Beispiel für unsere Mädchen in der Casa de Panchita«, erklärt Bianca Figueroa und klopft Delia aufmunternd auf die Schulter. Als Freiwillige arbeitet sie in der Casa, um etwas zurückzugeben und ihr Beispiel macht auch anderen Kindern Mut. Vorbilder wie Delia brauchen vor allem die Kinder aus einfachen Verhältnissen in Peru, denn immer mehr kristallisiert sich eine Zweiteilung des Bildungssystems heraus.

Dem öffentlichen Bildungssystem stehen von Jahr zu Jahr mehr private Bildungsträger gegenüber. Die werben mit besserer Ausbildung und angesichts der liederlichen Bezahlung im öffentlichen Sektor wechseln immer mehr der besseren Lehrer an die neuen Bildungsinstitute. Niemand in Peru kann das überraschen, denn viele Lehrer arbeiten nach dem Unterricht als Taxifahrer, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Auch ein Grund für das bescheidene pädagogische Niveau, das das Bildungssystem in Peru charakterisiert und welches an den Privatschulen etwas höher ist. »Die kann sich eine einfache Familie kaum leisten«, erklärt Cecilia Flores. Sie stammt aus einer einfachen Familie. Ihre Eltern, Mutter Hausmädchen, Vater Tischler, haben ihren drei Töchtern ein Studium ermöglicht. »Wie meine Eltern, dass geschafft haben, weiß ich bis heute nicht«, strahlt Cecilia und verabschiedet sich an der Haustür von einem Mädchen mit dem sie gerade Hausaufgaben gemacht hat.

Lachend winkt die 13-Jährige ein letztes Mal, dann biegt Cecilia um die Ecke. Gegenüber steht die Schule, wo gerade der zweite Unterrichtsturnus beginnt. Aus allen Himmelsrichtungen kommen Kinder und Halbwüchsige in Schuluniformen. »Schon die Kosten für die Uniformen, Ranzen und Hefte kann sich so manche Familie nicht leisten«, erklärt Cecilia Flores und streift die Weste mit dem Aufdruck Casa de Panchita ab. Ihr Arbeitstag in Pamplona Alta ist beendet und nun fährt sie ins Zentrum, um die folgenden Tage mit dem Team zu koordinieren. Kontinuität ist gefragt, wenn man Erfolg haben will.

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