Mehr Masse als Klasse

2011 wird Hamburg zur europäischen Umwelthauptstadt / Kritik an Klimapolitik des Senats

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 2 Min.
Hamburger behaupten gerne, in der schönsten Stadt der Welt zu leben. In fünf Monaten können die Hanseaten ihre Stadt mit einem weiteren Titel schmücken: Europäische Umwelthauptstadt.
Hamburg besitzt ein dichtes Netz von Bus- und Bahnverbindungen, die den Verkehr klimafreundlicher machen könnten. Foto: dpa
Hamburg besitzt ein dichtes Netz von Bus- und Bahnverbindungen, die den Verkehr klimafreundlicher machen könnten. Foto: dpa

2011 löst Hamburg Kopenhagen als europäische Umwelthauptstadt (»European Green Capital«) ab. Dass die Hansestadt den von der Europäischen Kommission verliehenen Titel zu Recht erwartet, stellen Parteien und Umweltschutzverbände jedoch in Frage. »Seit mehr als zwei Jahren warten wir darauf, dass das Hamburger Klimaschutzgesetz novelliert wird«, kritisiert Manfred Braasch. Der Hamburger Geschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland fordert einen »Beleg, dass Schwarz-Grün tatsächlich für eine ambitionierte Klimapolitik steht und nicht nur schöne Konzepte schreibt«.

Das 2007 noch von einer CDU-Alleinregierung ins Leben gerufene und im Dezember 2009 ergänzte Klimaschutzkonzept der Elbmetropole formuliert ehrgeizige Ziele. Derzeit werden 25 Millionen Euro pro Jahr für 360 Einzelprojekte aufgewendet, laut Umweltbehörde kommen zudem etwa 100 Millionen Euro jährlich indirekt dem Klimaschutz zugute. »Das Beispiel Hamburg zeigt, dass anspruchsvoller Klimaschutz, wirtschaftliche Stärke und Lebensqualität Hand in Hand gehen können«, wirbt die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk. Ein Schwerpunkt liegt in der Förderung des klimafreundlichen Bauens: Ab 2012 sollen nur noch Passivhäuser staatliche Zuschüsse erhalten, um den CO2-Ausstoß von Gebäuden bis 2050 um mindestens 80 Prozent zu reduzieren. Zudem soll die Leistung der Windkraftanlagen an Alster und Elbe »mittelfristig« mehr als verdoppelt werden. Weitere Ziele sind mehr und bessere Radwege. Schon jetzt finden in Hamburg vier »autofreie Sonntage« im Jahr statt, an denen die Nutzung von Bus und Bahn kostenlos ist.

Ein Beispiel für ein Konzept der Freiwilligkeit, das von Kritikern bisweilen als Beliebigkeit verstanden wird. »Einerseits ruft der Senat zu autofreien Sonntagen auf, andererseits verfolgt er Großprojekte wie die Hafenquerspange, die A26 und die Ortsumgehung Finkenwerder, die neue Verkehrsströme erzeugen«, bemerkt Stephan Zirpel vom Naturschutzbund Hamburg (NABU).

»Der Titel Klimahauptstadt ist überwiegend für zukünftige Maßnahmen verliehen worden, muss also noch erarbeitet werden«, erklärt Dora Heyenn. Die Vorsitzende der LINKEN-Bürgerschaftsfraktion fordert eine stärkere Schwerpunktsetzung und mehr ordnungspolitische Strategien an Stelle einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen: »Klimapolitik, die nur auf PR-Maßnahmen und Wirtschaftsförderung reduziert wird, verdient den Namen nicht«, so Heyenn, die in der vergangenen Woche eine Studie des Vereins zur Förderung der angewandten Nachhaltigkeit vorstellte. »Die in der Verwaltung vorhandenen Potenziale für die Entwicklung einer echten Klimastrategie werden nicht genutzt«, kritisiert dort Professor Jochen Hanisch: »Die schwarz-grüne Klimaschutzpolitik folgt mit einem Sammelsurium an Einzelmaßnahmen dem Motto ›Masse statt Klasse‹ – als ob niemand merken soll, dass wir uns vor grundlegenden Innovationen drücken.« Hanisch sprach sich für die Schaffung einer zentralen Stelle aus, die die Klimaschutzbemühungen koordiniert und im Konfliktfall auch weisungsberechtigt ist.

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