SPD sitzt in der Rentenfalle

Immer mehr Sozialdemokraten fordern Rücknahme eigener Beschlüsse

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SPD-Vize Wowereit und führende Landespolitiker der Partei gehen immer stärker auf Distanz zur Rente mit 67, deren Einführung die Sozialdemokraten 2007 in der Großen Koalition mit der Union beschlossen haben

Berlin (dpa/AFP/ND). Trotz interner Kompromissformeln entzweit die Rente mit 67 die SPD und ihre Parteispitze weiter. Für das Gesetz mitverantwortliche Sozialdemokraten wie Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier verteidigten den Beschluss der Großen Koalition am Wochenende erneut. Parteivize Klaus Wowereit und mehrere SPD-Landespolitiker bestanden hingegen auf einer Rücknahme.

Wowereit forderte in der »Süddeutschen Zeitung«, die SPD müsse schnell von der Verlängerung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre abrücken. Sachsen-Anhalts SPD-Chefin Katrin Budde sagte, schon heute arbeiteten nur wenige Menschen bis 65. Die Rente mit 67 müsse ehrlicherweise als eine »Defacto-Rentenkürzung« bezeichnet werden. Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie sagte der Nachrichtenagentur dpa: »Länger arbeiten macht ja keinen Sinn, wenn es keine Arbeit gibt.«

SPD-Chef Sigmar Gabriel möchte die Rente mit 67 solange ausgesetzt sehen, bis ein größerer Anteil älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich auch Beschäftigung findet. In der SPD wird dennoch von einem geschlossenen Vorgehen von Gabriel und Steinmeier gesprochen. Letzterer sagte dem »Tagesspiegel am Sonntag«: »Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist notwendig.« Man könne den Beginn der Rente mit 67 aber nicht losgelöst von der Arbeitsmarktlage betrachten. Eine Verschiebung der ersten Schritte zur Rente mit 67 sei daher eine »denkbare Möglichkeit«.

FDP-Chef Guido Westerwelle zeigte sich verärgert über das Erinnerungsvermögen von Gabriel, der in der Großen Koalition Umweltminister war. »Gabriel weiß offenbar gar nicht mehr, für was er am Kabinettstisch alles die Finger gehoben hat.«

Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der »Bild am Sonntag« erwarten zwar 52 Prozent der Deutschen, dass die Erhöhung der Lebensarbeitszeit nicht mehr abzuwenden ist und die Rente mit 67 wie geplant schrittweise ab 2012 eingeführt wird. Immerhin 44 Prozent glauben aber, dass die Rente mit 65 doch noch zurückkommt.

Nach einer Bestätigung des Bundesarbeitsministeriums von voriger Woche gingen 2008 nur 21,5 Prozent der 60- bis 64-Jährigen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Eine entspannte Arbeitsmarktlage für Ältere ist nach dem Gesetz aber Voraussetzung für die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67. Aktuellere Zahlen will Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) im November vorlegen.

Rentenexperte Bernd Raffelhüschen wies im Magazin »Focus« darauf hin, dass die Rentenkassen insgesamt die Finanzkrise gut überstanden hätten. Bis zum Jahr 2050 seien insgesamt Verluste von 200 Milliarden Euro zu erwarten. Das scheine zwar sehr viel zu sein, müsse aber im Verhältnis zum Gesamtvolumen der Altersrenten von 6,7 Billionen Euro gesehen werden. Kommentar Seite 4

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