Moskauer Sorgen am Hindukusch

Sicherheitsgipfel mit Präsidenten aus Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan in Sotschi

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Russlands Präsident Dmitri Medwedjew empfing am Mittwoch in der Sommerresidenz bei Sotschi seine Amtskollegen aus Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan zu einem Vierer-Gipfel.

Hamid Karsai, Asif Ali Zardari und Emomali Rachmon – die Auswahl macht Sinn. Die über 30-jährigen Wirren in Afghanistan sind zum Gutteil dem Konflikt der beiden großen Volksgruppen des Landes geschuldet: Paschtunen und Tadschiken. Die Mehrheit beider Ethnien lebt in souveränen Staaten, die die Grenzen, die Russland und Großbritannien Mitte des 19. Jahrhunderts zogen, als sie sich über die Aufteilung Zentralasiens in Einflussgebiete einigten, bis heute nur bedingt anerkennen. Nationalisten träumen hier wie dort von Groß-Paschtuinistan und Groß-Tadschikistan und haben daher erheblichen Einfluss auf die Entwicklung am Hindukusch.

So formierten sich die Taliban in Pakistan aus Paschtunen, die Afghanistan Mitte der 1990er Jahre einen fundamentalistischen Islam überstülpten. Durch den Einmarsch der westlichen Anti-Terror-Koalition im Herbst 2001 vorübergehend in die Defensive gedrängt, sind sie jetzt nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Nordwesten Pakistans erneut auf dem Vormarsch. Ihr Sieg hätte katastrophale Folgen. Weil Pakistan Atommacht ist und weil ein Taliban-Reich, noch dazu ein größeres als die erste Auflage, auch dem islamischen Widerstand in den instabilen zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken neuen Auftrieb geben würde. Russland ist daher vital an einem Krisenmanagement in der Region interessiert und angesichts der Misserfolge des Westens nachgerade dazu verdammt, eigene Wege zu gehen.

Der Kennlern-Gipfel im Viererformat fand – auf Initiative Moskaus – bereits im Juli 2009 statt. Gestern verständigten sich die Staatschef auf Nägel mit Köpfen. Erörtert wurden gemeinsame Energie-, Eisenbahn- und Wasserprojekte, die das Leben der Menschen ebenso erleichtern sollen wie gemeinsame Bemühungen um eine Verbesserung des Investitionsklimas. Außerdem ging es um Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe in Pakistan. Vor allem aber wurden auch Möglichkeiten diskutiert, sich aktiver in die schrittweise Übergabe der Macht an die Afghanen einzubringen, wie sie eine internationale Konferenz in Kabul Ende Juni beschloss.

Eine Schlüsselrolle soll dabei dem Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS – der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit – und der Schanghai-Organisation zufallen. Ihr gehören neben den Vollmitgliedern Russland, China und vier zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken auch Pakistan und Afghanistan als Beobachter bzw. als Gast an. Wie es in einer Pressemitteilung des Kremls hieß, wollen beide Organisationen sich künftig auch im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet – dem Rückzugsgebiet der Islamisten, in dem derzeit nur NATO-Truppen stehen – aktiv engagieren.

Ob Russland und dessen Verbündete ebenfalls an militärische Präsenz denken, blieb dabei zwar offen. Doch da für Moskau das Drogenproblem absolute Priorität hat, führt nach Meinung von Experten auf längere Sicht kein Weg an der Entsendung von Spezialeinheiten vorbei. Hochrangige russische Politiker – aktive und ehemalige – haben sich dafür stark gemacht, die Anti-Terror-Operation durch eine Anti-Drogen-Operation zu ergänzen und diese ebenfalls mit UN-Mandat auszustatten. Unter diesen Voraussetzungen konnte sich Medwedjew im Dezember bei seinen Konsultationen mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sogar begrenzte gemeinsame Operationen vorstellen. Zu mehr als höflichem Interesse hat sich der Westen bisher jedoch nicht aufgerafft, obwohl die afghanischen Warlords ihre Kriegskassen vor allem mit Opiumdollars füllen.

Kommentar S. 4

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