Hinter der Fassade

Berliner Wohnungsgenossenschaft protestiert gegen Google Street View

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Berliner Wohnungsgenossenschaft »Grüne Mitte« reichte zum Schutz ihrer Mieter Einspruch gegen die Veröffentlichung ihres Wohnungsbestandes in Googles Internet-Geodienst Street View ein.

Ein paar hundert Meter vom Stadtrand entfernt liegt die Helle Mitte. Das Zentrum des im Berliner Osten gelegenen Stadtteils Hellersdorf ist sein Image des kargen Plattenbauviertels immer noch nicht ganz losgeworden. Nur einige wenige Fußwegminuten weit weg vom U-Bahnhof Hellersdorf steht man inmitten von fünf-, sechsgeschossigen Neubauten, die sich von der Straße aus gesehen hinter Bäumen verstecken. Kaum ein Mensch ist unterwegs. Sich hier das kamerabewehrte Auto von Google vorzustellen, fällt schwer.

Doch die Street-View-Debatte hat auch die ruhigen Straßen Hellersdorfs erreicht. Die Wohnungsgenossenschaft »Grüne Mitte« reichte kürzlich einen Komplett-Widerspruch gegen die Veröffentlichung ihres Wohnungsbestandes in Street View ein. Man wolle sich damit schützend vor die Mieter stellen, sagt Vorstandsmitglied Andrej Eckhardt. Mit dem Sammelwiderspruch will die »Grüne Mitte« zum einen den fristgerechten Einspruch gegen die Veröffentlichung im Internet gewährleisten. Zum anderen wolle man vermeiden, dass sich jeder Mieter einzeln an Google wenden muss.

Prominente Unterstützung erhält die Genossenschaft dabei von Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (LINKE). Mit dem Widerspruch gelinge es der »Grünen Mitte«, einen Datencoup zu verhindern: »Würden die Mieter einzeln widersprechen, könnte Google den jeweiligen Häusern auch noch Angaben über deren Bewohner hinzufügen. Das wäre dann in der Tat ein Daten-Coup.«

Damit spricht Petra Pau ein wichtiges Argument an, und doch wird auch in der »Grünen Mitte« der düstere Schatten des Google-Schrecks heraufbeschworen: »Google weiß, wo Sie wohnen.« »Stellen Sie sich vor, Sie finden noch in 20 Jahren ein Foto von sich, wie Sie betrunken auf einer Parkbank sitzen, in Google Street View.« Mit derart haltlosen Argumenten wird die im Kern vernünftige Diskussion angefüttert.

Ein junges Pärchen geht mit seinem Kind im Park zwischen den Hochhäusern spazieren. Sorgen sie sich um die Online-Ansicht ihres Wohnhauses? »Nö.« Oder darum, zufällig irgendwo auf den Straßen Berlins abgelichtet worden zu sein? Nein, die Fotos würden ja unkenntlich gemacht. Einer der Hauptvorwürfe gegen Google betrifft die Veröffentlichung solcher Fotos, ohne die Abgebildeten vorher um Erlaubnis zu fragen. Wer hingegen seine Fotos in sozialen Netzwerken veröffentlicht, tut dies freiwillig.

Die »Grüne Mitte« ist eine der ersten Wohnungsgenossenschaften, die mit einem Sammeleinspruch für alle ihre Mieter spricht. Eine Genossenschaft im Rheinischen kündigte vergangene Woche ein ebensolches Vorgehen an. Das liegt vor allem an den rechtlichen Voraussetzungen für einen Einspruch. Nur juristische Personen, also Mieter und Hausbesitzer, können Einspruch einreichen; Interessenvertretungen wie Immobilienunternehmen oder Gesellschaften sind dagegen zu einem solchen Sammeleinspruch nicht berechtigt. Petra Pau erhofft sich dennoch eine berlin- oder gar bundesweite Wirkung des Hellersdorfer Einspruchs. »Es gibt zur Zeit kein Datenschutzgesetz, das dem 21. Jahrhundert entspricht«, so Pau, die Mitglied des Bundestags-Innenausschusses ist. Genau darauf müsste die Diskussion um Google als Datenkönig jedoch abzielen. Denn das rechtliche Problem liegt nicht bei Google, sondern bei der Bundesregierung. Anstatt die Mieter einzeln zum Widerspruch aufzurufen, wie es Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) forderte, müssen Richtlinien nicht nur für Google, sondern für Online-Dienste generell festgelegt werden.

Google ist Meister im Sammeln individueller Daten. Doch die 360- Grad-Ansicht der Straßen an sich hat damit nichts zu tun, zumal auch andere Anbieter bereits solche Fotos ins Netz gestellt haben. Auf dem Bild eines Wohnhauses etwa wird Google nicht einen Balkon mit den Worten »Hier wohnt Herr Weiß, 47, zweifach geschieden und AC/DC-Fan« beschriften. Solche Daten nutzt Google im wirtschaftlichen Sinne beispielsweise für individuell zugeschnittene Werbung.

Der Streit muss weg von der Frage »Bunte Gardinen im Netz ja oder nein?« hin zur klaren Regelung für den Schutz von Daten und Persönlichkeitsrecht vor vermeintlich harmlosen Online-»Diensten«.

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