Werbung

Abenteuer hinterm Deich

Kanutour auf der Alten Oder zwischen Reitwein und Gorgast

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
Kandi im Glück
Kandi im Glück

»Wow, so voll war die Alte Oder schon lange nicht mehr. Das kann 'ne aufregende Tour werden«. Kandi steht am Ufer und freut sich wie ein Kind. Seine Augen blitzen, um die Mundwinkel macht sich ein leichtes Zucken bemerkbar. Doch noch können wir diese Zeichen nicht deuten. Vor uns liegen rund zwölf Kilometer Kanutour auf der Alten Oder von Reitwein bis Gorgast. Ein netter vierstündiger Ausflug, mehr nicht. Was sollte hier im flachen Oderland schon besonders aufregend werden?

*

Gemütlich beginnt die Tour, einzig die Landschaft überrascht. Kann man in dieser Region am östlichsten Rand Brandenburgs und Deutschlands ansonsten kilometerweit über Wiesen und Felder bis zum Horizont schauen, so fühlt man sich hier hinterm Deich von riesigen Bäumen und Schilf regelrecht bedrängt, manchmal ist es so eng, dass man sich den Weg mühsam durch das Pflanzendickicht bahnen muss. Ein Auenwald mit uralten Eichen und Erlen erstreckt sich am Ufer, und jetzt, wo der Fluss bis zur Oberkante voll ist, scheint es, als ob die Bäume sogar im Wasser wachsen. Alles macht einen geheimnisvollen, fast verwunschenen Eindruck – so haben wir uns das Oderbruch nun wirklich nicht vorgestellt.

Dass es diesen landschaftlichen Gegensatz gibt, ist dem Alten Fritz zu verdanken. Hätte der Preußenkönig das Oderbruch vor reichlich 260 Jahren nicht trockenlegen lassen, gäbe es die Alte Oder gar nicht. Sie blieb übrig, als zwischen 1746 und 1753 die sich bis dahin in vielen Kurven durchs Land schlängelnde Oder begradigt und zwischen Güstebiese und Hohensaaten ein rund 20 Kilometer langer künstlicher Kanal gegraben wurde. Das etwa drei Mal so lange alte, nun von der Oder abgeschnittene Bett wurde zum Sammelbecken für Grund- und Oberflächenwasser und blieb lange Zeit die Lebensader der anliegenden Dörfer. Heute gehört die Alte Oder den Wasserwanderern und gilt immer noch als touristischer Geheimtipp. Der begeisterte Kanute Jürgen Kandeler entdeckte sie für sich in den 90er Jahren, 2004 machte er sein Hobby zum Beruf und gründete gemeinsam mit seiner Frau Verena »Kandis Abenteuertouren«.

*

Das erste Abenteuer an diesem Tag ist von vergleichsweise harmloser Art: Ein Baum ist über Nacht umgestürzt und versperrt uns nun den Weg. Dichte Schilfgürtel rechts und links des Ufers lassen ein Anlegen, um die Boote ums Hindernis zu tragen, nicht zu. Zurück kommt nicht in Frage. Bleibt nur, über den Baum klettern und die Kanus irgendwie durchs Geäst hindurchzufädeln. Was mehr oder weniger gut gelingt.

Gemächlich geht's weiter: Kandi macht uns auf den seltenen, hier jedoch häufig vorkommenden Eisvogel aufmerksam, der wegen seines glitzernden stahlblauen Gefieders »fliegender Edelstein« genannt wird, ein Otter kreuzt flink den Weg, Graureiher stehen im Schilf, Schwaneneltern führen ihren Nachwuchs vor. Welch eine Idylle! Ab und an müssen wir unter Brücken hindurch, was, wegen des hohen Wasserstandes nur möglich ist, wenn man tief ins Boot rutscht.

*

Kurz vor Manschnow liegt die Hälfte der Strecke hinter uns. »Dort an der alten Wassermühle müssen wir die umheben«, so Kandi. Was er selbst noch nicht weiß: Das zu einer 150 Meter langen Fischtreppe umgebaute Wehr hat sich durch die starken Regenfälle der letzten Tage in eine schäumende Wildwasserstrecke verwandelt: Rafting auf der alten Oder!. »Wer will, kann die Strecke fahren, wer nicht will, muss das Boot schleppen«, sagt er und wirft sich samt Kanu ins tobende Wasser. Nach einigem Zögern macht's ihm ein Teil der Truppe nach: mit pochendem Herzen und der festen Überzeugung, jeden Moment baden zu gehen. Zwar dreht sich das leichte Kanu sofort um die eigene Achse, stellt sich erst quer, dann rückwärts, bekommt beängstigende Schieflage – aber wir schaffen es irgendwie, ohne herauszufallen. Was für ein Hochgefühl!

*

In der nächsten Stunde beruhigt sich der Puls wieder, die Alte Oder ist nun zwar ein bisschen breiter, aber leicht zu befahren, sieht man mal von der schweißtreibenden Armarbeit ab, wenn immer mal wieder zentimeterdicke Entengrütze flottes Vorankommen verhindert. In diesem Teil des Flussarmes lässt der Schilfgürtel sogar hier und da Lücken, was sich Angler zunutze machen. Doch so richtig wollen die Fische an diesem Tag nicht beißen, keiner, denen wir ein freundliches »Petri Heil« zurufen, kann mit einem bemerkenswerten Fang beeindrucken.

*

In der Ferne kommt eine Brücke in Sicht. Kandi ahnt ganz offensichtlich längst etwas. Er starrt auf die Brücke, als wollte er sie hypnotisieren. Ein paar Minuten später wissen wir warum: Das Wasser steht so hoch, dass ein drunter Durchfahren unmöglich ist. Meinen wir! Kandi sieht das ganz anders, und da ist es wieder, das Blitzen in seinen Augen. »Wenn wir uns zu zweit ganz flach ins Kanu legen, müssten wir es schaffen«, verkündet er, und hat für sich schon beschlossen, es zu versuchen. Ein zweiter Verrückter findet sich, doch es fehlen vielleicht ein, zwei Zentimeter, um das Boot unter die Brücke zu schieben.

Jetzt ist Kandis Ehrgeiz erst recht geweckt. Er will um keinen Preis das Kanu aus dem Wasser hieven und um die Brücke herumtragen. »Mit dem Gewicht von Dreien schaffen wir es. Bestimmt!«, sagt er fast bittend. Überredet, versuchen kann man's ja. Sich zu dritt flach auf den Boden eines schmalen schaukelnden Kanus zu legen, ist gar nicht so einfach, aber irgendwie finden doch alle Platz. Und nun: Augen zu und durch. Die Frau in der Spitze des Bootes zuerst: Mit den Händen kräftig von unten gegen die Brücke drücken, knirschend schiebt sich das Kanu darunter. Jetzt liegt's an der Kraft der beiden Männer, den Rest unter den Beton zu drücken und Stück für Stück vorwärtszuschieben. Umkippen geht nicht, nur steckenbleiben. Kaum gedacht, schon ist es passiert. Das Kanu bewegt sich nicht mehr vor- noch rückwärts.

Auf der Brücke haben sich inzwischen Schaulustige eingefunden, die gespannt verfolgen, wie das Experiment ausgeht und natürlich jede Menge gute Ratschläge parat haben. Helfen können sie allerdings nicht. Aus dieser Kiste müssen wir irgendwie selbst rauskommen. Noch einmal stemmen wir uns mit aller Kraft gegen die Brücke, schaukeln uns ein bisschen auf – und die Kanuspitze rutscht durch. Langsam folgt der Rest des Bootes. Kandi sieht als letzter wieder Tageslicht – und strahlt übers ganze Gesicht.

*

Das letzte Stück ist ein Kinderspiel: Vorbei am Schloss Gorgast, das noch auf einen reichen Prinzen hofft, der es aus seinem Dornröschenschlaf erweckt, dem zugehörenden Park, den einst Lenné angelegt haben soll, zum Heimathafen von »Kandis Abenteuertouren«.

Übrigens: Mit Jürgen Kandeler kann man auch auf Survival-Tour gehen. Kein Zweifel, dass man dabei was erlebt!

  • Kandis Abenteuertouren, Genschmarer Chaussee 25, 15328 Küstriner Vorland OT Gorgast, Tel.: (033472) 588-79, Fax: -77, E-Mail: info@abenteuertouren.com, www.abenteuertouren.com
  • Infos zur Region: Tourismusinformation Oderbruch und Lebuser Land e.V., Berliner Str. 1-3, 15306 Seelow, Tel.: (03346) 8498-08, Fax: -07, E-Mail: info@oderbruch-tourismus.de, www.oderbruch-tourismus.eu
  • Allgemeine Infos zu Reisen in Brandenburg: TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH, Am Neuen Markt 1, 14467 Potsdam, Tel.: (0331) 200 47 47, www.reiseland-brandenburg.de



Siehe auch: Neuer Gesamtreiseplan von ND-Leserreisen

Oftmals muss man sich seinen Weg durch dichtes Geäst und Schilf bahnen.
Oftmals muss man sich seinen Weg durch dichtes Geäst und Schilf bahnen.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal