Berlinische Galerie

Wie Fremdkörper

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist das Vergangene für das Gegenwärtige – Information ohne Präsenz? In »Living in Oblivion«, einer fantastischen Ausstellung in der Berlinischen Galerie, thematisiert der Münchner Künstler Julian Rosefeldt unser Gedächtnis anhand von Plätzen, die einst organisatorische oder technische Zentren bildeten. Wie lange währt ein Sein? Diese Frage drängt sich geradezu auf bei der Betrachtung von Rosefeldts Bildern und seiner Film-Installation »The Shift«.

Die Räume, die Rosefeldt zeigt, gehören – nimmt man zum Beispiel Nutzung als Maßstab – der Vergangenheit an, nicht aber das ihnen zugrunde liegenden Denken: Ob die riesigen Panoramabilder alter vergessener Gewölbe oder die Filminstallation »The Shift« – Rosenfeldt zeigt Orte, die sichtbar das Ergebnis technischer Vorstellungen sind, die heute zwar nicht mehr zeitgemäß scheinen, aber Basen für das technische Jetzt bilden.

Beim Anblick der Schwarz-Weiß-Fotos aus der Serie »München – die unbekannten Kathedralen« kann man wegen ihrer Menschenleere und ihrer gigantischen Größe ziemlich ins Staunen geraten. Rosefeldt zeigt Megaräume, die einst zum Beispiel ein Straßenbahndepot waren. Beim Betrachten der Bilder kann der Eindruck der Menschenleere ein Gefühl wecken, das sich mit »Verhallen« umschreiben lässt und so ein gespenstisches Bild von Vergangenheit vermitteln.

In »The Shift« sieht der Betrachter vier Filme nebeneinander laufen: Ein und derselbe Mann verrichtet an vier verschiedenen Orten Nachtwächterarbeit. Er tut nicht viel, läuft herum und kontrolliert, ob die veraltet wirkenden Maschinen, deren interne Kommunikation durch das Blinken von Lämpchen angezeigt wird, funktionieren. Je nach Sicht kann das Ende des Films ein wenig pathetisch wirken: Der Kontrollgänger geht in ein weißes Licht, der Film endet in einem kurz aufscheinenden Bild, welches die wohl augenblicklich komplexeste Maschine in unserer Welt zeigt, den Teilchenbeschleuniger in Cern in der Schweiz. Technische Komplexität nimmt zu, dieser Schlussmoment hat etwas tief Folgerichtiges.

Mensch, Maschine, Wissen, Kontrolle, Arbeit, Reproduktion, vergessene Räume – »Living in Oblivion« setzt diese Begriffe in Beziehung, ohne auf ein Resultat hin zu wirken. Auf nur eine Lesart kann eben diese Ausstellung nicht herunter gebrochen werden: Bilder wie Filminstallation bilden zwar durch Form und Farben ein ästhetisch geschlossenes Gefüge, in dem besonders an das Erinnern erinnert wird, aber lassen den Betrachter die Wahl, in welche Perspektiven er die Inhalte bindet.

Auch ein politischer Aspekt lässt sich in der Ausstellung finden, denn Politik und Gedächtnis hängen ja bekanntlich ursächlich zusammen und damit die uralte Frage, aus welchen Gedächtnissen heraus erschaffen wir unsere Wirklichkeiten – bilden Gedächtnisse doch den Reichtum an Möglichkeiten ab.

»Living in Oblivion«, Berlinische Galerie, bis 18. Oktober, außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, Alte Jakobstraße 124 - 128

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