Besondere Sensibilität für Fairness und Gerechtigkeit

Seit der Barschel-Affäre Ende der 80er Jahre folgt in Schleswig-Holstein ein politischer Skandal auf den anderen

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.
Uwe Barschel, Björn Engholm und Heide Simonis sind nur einige Politiker, die im hohen Norden für Schlagzeilen gesorgt haben. Das jüngste Kapitel der schleswig-holsteinischen Politintrigen war das Ermittlungsverfahren gegen den SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner.

Das zu bestimmten Gelegenheiten immer wieder hervorgeholte Bild von der »schmutzigen Politik« – wohl kaum wurde es deutlicher ins Bewusstsein gerückt als 1987 bei der Barschel-Affäre und den unmittelbaren Folgen für Schleswig-Holstein. Seitdem gibt es in dem Land zwischen Nord- und Ostsee eine ganz besondere Sensibilität für Fairness und Gerechtigkeit, und doch sind es immer wiederkehrende Ungeheuerlichkeiten, die das Bundesland erschüttern und für Kopfschütteln und Unbehagen sorgen.

Da zuerst der Barschel-Skandal zu nennen. Der damalige CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel wollte bei den Landtagswahlen 1987 unbedingt an der Macht bleiben und hat den Spitzenkandidaten der SPD, Björn Engholm, mit Hilfe des vom Springer-Verlag vermittelten Medienreferenten Reiner Pfeiffer systematisch denunziert. Pfeiffer griff dabei mit krimineller Energie zu Unwahrheiten und Fälschungen, die der »Spiegel« erst unmittelbar vor dem Urnengang in Teilen veröffentlichte, weil Pfeiffer dem Blatt Auftraggeber und Inhalte der Schmutzkampagne gegen den von Barschel so gefürchteten politischen Gegenspieler nannte.

Die Wahlen brachten dann ein Patt zwischen CDU und der zu einer Koalition mit der Union entschlossenen FDP auf der einen sowie SPD und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) auf der anderen Seite. Barschel ließ sich zu einem öffentlichen Ehrenwort hinreißen, dass alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprächen. Als dennoch weitere Details der Affäre bekannt wurden, trat er kurz darauf zurück. Am 11. Oktober wurde er tot in einer Badewanne eines Genfer Hotels gefunden.

Als der SSW-Abgeordnete Karl Otto Meyer sich weigerte, einen neuen CDU-Ministerpräsidenten zu wählen, erhielt er Morddrohungen. Die unausweichlich gewordene Neuwahl am 8. Mai 1988 sollte die große politische Befreiung von all den Verstrickungen bringen, und Engholm wurde tatsächlich Ministerpräsident. 1993 kam dann heraus, dass die SPD-Spitze samt Engholm seinerzeit wenige Tage vor der 87er-Landtagswahl bereits von Pfeiffer über die Barschel-Machenschaften informiert worden war und dafür dem zwielichtigen Journalisten 50 000 DM gezahlt hatte. Engholm legte im Untersuchungsausschuss 1988 aber einen Meineid ab. Als Folge der neuen Enthüllungen trat er vom Ministerpräsidenten-Amt zurück und legte den SPD-Parteivorsitz auf Bundesebene nieder.

Der nächste Paukenschlag im hohen Norden, der die politische Kultur und Moral in ein diskussionswürdiges Licht rückte, war die Entmachtung von Ministerpräsidentin Heide Simonis, die auf Engholm folgte. Als sie sich für ihre vierte Legislaturperiode 2005 zur Regierungschefin wählen lassen wollte, fehlte ihr bei vier Wahlgängen die Mehrheit, weil sich in der vereinbarten Koalition (Rot-Grün, toleriert vom SSW) ein Mandatsträger hartnäckig enthielt. Daraufhin verzichtete Simonis und Peter Harry Carstensen (CDU) übernahm die Regierungsgeschäfte, wenn auch in einer ungeliebten Großen Koalition. Dort geriet er immer wieder mit dem SPD-Spitzenmann Ralf Stegner aneinander und ließ im Sommer 2009 sogar vorzeitig das Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten platzen, um über eine fingierte Vertrauensfrage schnell zu Neuwahlen zu kommen. Beide Spitzenpolitiker reizten sich kontinuierlich – sogar noch, als Carstensen abermals die Wahl gewonnen hatte. Beide Seiten setzten als Höhepunkt ihrer Feindseligkeiten ihre Fehde sogar bis vor das Hamburger Landgericht fort, das dann salomonisch einen Vergleich hinbekam, demzufolge Carstensen ehrabschneidende Behauptungen gegenüber Stegner zu unterlassen hat.

Und doch schwelt dieses oft unter der Gürtellinie ausgetragene Duell weiter. So wurde aus Regierungskreisen an Journalisten lanciert, dass Stegner HSH-Nordbank-Zuwendungen in seiner Funktion als früheres Aufsichtsratsmitglied nicht ordnungsgemäß an die Steuerbehörde abgeführt habe, so dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Oppositionsführer eingeleitet wurde, das die Staatsanwaltschaft aber schnell wieder einstellte.

Und dann waren in der Liste unsäglicher Waterkant-Politepisoden ja noch die Ergebnisse der vergangenen Landtagswahlen vom 27. September 2009. Bundesweit einmalig erhielt die LINKE ein Vierteljahr nach dem Urnengang einen weiteren Sitz zugesprochen, den die FDP abtreten musste – in einem Wahlbezirk war falsch ausgezählt worden, was die Zweitstimmenzahl relevant beeinflusst hatte. Im Februar 2010 wurde im Landtag noch einmal öffentlich nachgezählt und der Fehler bemerkt. Damit schrumpfte Carstensens Regierungsmehrheit im Bündnis mit der FDP von vormals drei Stimmen auf ein zusammen.

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