- Politik
- Nato-Übung Steadfast Noon
Die Nato probt mal wieder den Atomkrieg
Das Manöver Steadfast Noon versammelt 2000 Soldaten aus 14 Mitgliedstaaten im Nordseeraum
Die Nato-Atomkriegsübung Steadfast Noon läuft seit dem 13. Oktober im Nordwesten des europäischen Kontinents. Geübt werden dabei noch bis zum Freitag sämtliche Schritte, die umgesetzt würden, sollte der Konflikt zwischen den westlichen Staaten und Russland nuklear eskalieren. Zunächst werden in Europa gelagerte US-Atombomben aus ihren Bunkern geholt und an Flugzeugen angebracht. Schließlich starten die Jets, im Manöver natürlich nur mit Bombenattrappen. Sie fliegen, auch das wird geprobt, zum Einsatzziel. Das dazu erforderliche spezielle Flugmanöver wird eifrig getestet, damit es im Ernstfall sitzt.
Schauplatz des Manövers ist in diesem Jahr insbesondere der Luftraum über der Nordsee. Maßgeblich beteiligt sind die niederländische Luftwaffenbasis Volkel sowie Militärstützpunkte im belgischen Kleine Brogel, im britischen Lakenheath und im dänischen Skrydstrup.
Die Übung findet jedes Jahr im Oktober statt. Lange wurde darüber nicht öffentlich informiert. Erst seit fünf Jahren ist das anders, und in diesem Jahr gab es zu Beginn sogar Nato-Statement dazu. Demnach nehmen rund 2000 Soldaten mit mehr als 70 Flugzeugen aus 14 Nato-Staaten am Manöver teil, darunter die noch jungen Nato-Mitglieder Finnland und Schweden, die F/A-18 Hornet- bzw. Gripen-Kampfjets entsenden.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte erklärte zum Auftakt: »Wir müssen das tun, weil es uns hilft sicherzustellen, dass unsere nukleare Abschreckung glaubwürdig, sicher und so effektiv wie möglich bleibt.« Die Übung sei zwar Routine, solle aber zugleich das Signal an jegliche potenziellen Angreifer senden, dass das Bündnis jederzeit bereit und in der Lage sei, »seine Alliierten zu schützen und zu verteidigen«.
Aufgabe der genannten Kampfjets wie auch der Tornados und Eurofighter, die die Bundeswehr bereitstellt, ist es, die Flugzeuge zu begleiten und zu schützen, die die Nuklearwaffen tragen. Das tun in diesem Jahr zum ersten Mal US-Jets des Typs F-35, darunter eine niederländische F-35-Staffel, die in Volkel stationiert ist. Erstmals sind auch F-35-Jets der U.S. Air Force beteiligt. Es handelt sich um das Modell, das auch die Bundeswehr im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe beschafft.
»Wir müssen das tun, weil es uns hilft sicherzustellen, dass unsere nukleare Abschreckung glaubwürdig, sicher und so effektiv wie möglich bleibt.«
Mark Rutte Nato-Generalsekretär
Volkel ist Hauptstützpunkt des diesjährigen Manövers. In der ebenfalls beteiligten Airbase Kleine Brogel in Belgien sind im Rahmen jener Teilhabe Europas US-Atombomben eingelagert. Kleine Brogel befindet sich im äußersten Nordosten des Landes, nur rund 60 Kilometer von Volkel entfernt.
Laut offiziellen Nato-Angaben ist der Fliegerhorst Büchel in der Eifel, ein weiterer Flugplatz, der US-Kernwaffen beherbergt, dieses Jahr nicht an Steadfast Noon beteiligt. Der dritte Manöverstandort ist die britische Airbase Lakenheath, gut 40 Kilometer nordöstlich von Cambridge gelegen. Sie war schon 2024 involviert. Mit Skrydstrup rund 60 Kilometer nördlich von Flensburg ist zum ersten Mal ein dänischer Luftwaffenstützpunkt eingebunden. Auch Dänemarks Luftwaffe nimmt mit F-35-Maschinen teil, die – ganz wie die finnischen und die schwedischen – dem Schutz der atomwaffentragenden Jets dienen sollen.
Berichten zufolge wird in diesem Jahr über der Nordsee der Einsatz sogenannter taktischer Atombomben geübt. Dabei handelt es sich um solche des Typs B61-12. Mit ihnen ersetzen die USA sukzessive die alten B61-Bomben in Europa. Bekannt ist, dass die F-35-Jets für den Einsatz der B61-12 zertifiziert sind.
Treffen Informationen der Federation of American Scientists zu, dann war Volkel der wohl erste Stützpunkt mit US-Atomwaffen in Europa, an dem die B61-12 in den Trainingsbetrieb integriert wurden, und zwar bereits 2021, noch bevor die Bombe in die reguläre Produktion ging. Sie wird per Satellitennavigation gelenkt, weshalb sie als erheblich präziser als die alte B61 gilt. Sie ist zudem skalierbar, kann also mit unterschiedlicher Sprengwirkung eingesetzt werden und ist in der Lage, Bunker zu brechen. Aufgrund ihrer Skalierbarkeit kann sie auch »taktisch« eingesetzt werden, also mit vermeintlich beschränkter Wirkung. Kritiker warnen jedoch, der Glaube an die Begrenzbarkeit ihrer Zerstörungskraft senke die Hemmschwelle für einen Einsatz.
Bemerkenswert ist, dass die dänische Luftwaffe an Steadfast Noon teilnimmt. Dänemark lehnt seit den 1950er Jahren jede Stationierung von Atomwaffen auf seinem Territorium ab. Im März aber hat sich Ministerpräsidentin Mette Frederiksen erstmals nicht mehr darauf festlegen wollen. Weitere dänische Politiker sind ihr seither gefolgt. Anlass dafür waren die US-Drohungen, Grönland zu annektieren. Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wenig später anbot, Frankreich könne einen europäischen nuklearen »Schutzschirm« aufspannen, war Kopenhagen plötzlich recht offen dafür. Die Teilnahme an Steadfast Noon, wenn auch nur in begleitender Rolle, ist ein erneuter Hinweis auf den militärpolitischen Wandel in Dänemark.
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Auch die Tatsache, dass sich Dänemark in den vergangenen Monaten und Jahren offensiver gegen Russland in Stellung gebracht hat, deutet darauf hin. 2023 und 2024 brachten die US-Streitkräfte im Verlauf von Nato-Manövern Typhon-Raketenrampen auf die dänische Insel Bornholm. Von ihnen kann man Tomahawk-Marschflugkörper abfeuern, die mühelos russisches Territorium erreichen. Zuletzt kündigte Regierungschefin Frederiksen an, Dänemark wolle auch Langstrecken-Präzisionswaffen beschaffen. Kürzlich ist außerdem ein Abkommen zur Militärkooperation zwischen Dänemark und den USA ratifiziert worden, das es den Vereinigten Staaten erlaubt, mehrere dänische Militärstützpunkte zu nutzen, unter ihnen Skrydstrup. Washington kann dort nach Belieben Waffen stationieren.
Die britische Airbase Lakenheath wiederum war im Kalten Krieg ein Standort für wohl mehr als 100 US-Atombomben. Seit 2008 nuklearwaffenfrei wird sie seit einigen Jahren erneut umgebaut, um die Stationierung von US-Kernwaffen zu ermöglichen. Britische Kriegsgegner gehen davon aus, dass die US-Streitkräfte im Juli dieses Jahres erneut Atomsprengköpfe nach Lakenheath gebracht haben. Bewiesen ist das nicht, und die US-Regierung verweigert jegliche Auskunft. Unabhängig davon zeigt die Integration von Lakenheath ins aktuelle Nato-Manöver, wohin die Reise geht.
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